„Ich kann was verändern“ – Die REVOLUTIONALE in Leipzig
In einem Mix aus öffentlichen und nicht-öffentlichen Veranstaltungen berichteten die knapp 80 Aktivisten und Aktivistinnen, unter ihnen auch Wissenschaftler und Journalisten, von ihrer täglichen Arbeit. Beim Internationalen Runden Tisch tauschten sie sich untereinander, im Rahmen von begleitenden Formaten dann mit dem interessierten Publikum aus. Die diesjährige REVOLUTIONALE vom 10. bis 12. Oktober stand unter dem Motto „Telling Stories“ (übersetzt: Geschichten erzählen).
„Ist unsere Arbeit wirklich effektiv?“ „Wie sollten wir umgehen mit öffentlichen Institutionen und wie können wir diese ändern?“ Über diese Fragen diskutierten 13 Teilnehmende aus Polen, Ungarn, Georgien, Rumänien und anderen Ländern. Sie versammelten sich am Tisch „Empowering marginalized groups“ (übersetzt: marginalisierte Gruppen stärken). „Fehlt es an der Willenskraft politischer Akteure, benachteiligten Gruppen zu helfen oder liegt es an der fehlenden Bildungsarbeit?“
Berichte aus Ungarn und Myanmar
Eine Aktivistin aus Ungarn berichtete, dass Menschen mit Behinderung dort oft vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten seien. Sie könnten ihre Geschichten nicht erzählen, doch genau darum solle es – gemäß dem Motto der diesjährigen REVOLUTIONALE – gehen. Man solle letztlich nicht für diese Menschen sprechen, sondern Möglichkeiten schaffen, in denen sie selbst ihre Bedürfnisse äußern können. Dieser internationale Austausch über Herausforderungen und zentrale Themen zeigt: Aktivismus ist mühsam und kleinschrittig. Oft arbeitet man mit wenigen Mitteln gegen staatliche Restriktionen an. Politische Bildungsarbeit ist ein zentrales Mittel, um zum Erfolg zu kommen.
Am Tisch „Building Alliances“ (übersetzt: Bündnisse schmieden) sprach ein Vertreter der „Free Rohingya Coalition“ über die Situation in Myanmar. Das Land steht seit 1962 fast ununterbrochen unter Kontrolle des Militärs. Die Organisation arbeite an Allianzen mit anderen ethnischen Minderheiten in Myanmar und wirkt auf die Rücksiedlung der vertriebenen Menschen hin. Auf der REVOLUTIONALE solle vor allem ein Bewusstsein für die Situation der Rohingya geschaffen werden.
Vorbild: Der Runde Tisch 1989
Das Prinzip des Internationalen Runden Tisches: Diskutiert wurde in vielen kleinen Tischrunden, in denen jeweils unterschiedliche Themen im Fokus standen. Die Idee geht auf den „Runden Tisch“ zurück, der im Dezember 1989 in Ost-Berlin tagte und an dem Abgeordnete der DDR-Regierung und oppositionelle Gruppen gemeinsam über demokratische Veränderungen diskutierten. Auch auf lokaler und regionaler Ebene bildeten sich zu der Zeit damals „Runde Tische“. Sie gelten heute als zentrales Element der friedlichen Revolution. „In Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution knüpft die REVOLUTIONALE als Plattform zum Austausch historisch an. Sie macht Mut: als positives Beispiel für erfolgreiche demokratische Transformation“, sagte Tomke Meyer, Pressereferentin der Stiftung Friedliche Revolution.
„Vergesst Afghanistan nicht“
Die REVOLUTIONALE bot eine Bandbreite an Themen und zeigte dabei auch viele internationale Gemeinsamkeiten aktivistischer Arbeit. Einige Gäste forderten mehr öffentliches Bewusstsein für bestimmte Themen. So Marina Habibi, die für Mission Lifeline in Deutschland arbeitet und dabei afghanischen Geflüchteten hilft: „Vergesst nicht Afghanistan, besonders nicht die afghanischen Frauen, die sind marginalisiert durch die Taliban“.
Die Teilnehmenden wurden dieses Jahr aus einem zweiteiligen Verfahren rekrutiert: Einerseits konnten sich Menschen über einen Open Call bewerben, andererseits luden die Veranstalter auch gezielt Sprecher:innen ein. Einige waren bereits in der Vergangenheit bei der REVOLUTIONALE dabei, viele nahmen zum ersten Mal teil. Es sollten insgesamt verschiedene Themen und Bereiche aktivistischer Arbeit sowie unterschiedliche Regionen abgedeckt werden. „Ein Fokus der Konferenz ist, historisch bedingt, die Zusammenarbeit mit anderen ehemaligen Ostblock Ländern“, so Tomke Meyer. „Daher war ein großer Teil der Teilnehmenden aus Zentral- und Osteuropa, vom Balkan oder aus dem Kaukasus.“
Was geschieht an der polnischen Grenze zu Belarus?
Unter dem Titel „Why we don’t follow the sun” fand am 11. Oktober ein öffentlicher Gesprächsabend statt. Zunächst berichteten vier der internationalen Aktivist:innen auf dem Podium über ihre Arbeit, um sich dann in kleinen Gesprächsrunden eingehend mit dem Leipziger Publikum auszutauschen. Über ihre Arbeit an der polnisch-belarussischen Grenze berichtete Marianna Wartecka. „Bis ich 30 war, hatte ich einen langweiligen Job“, sagte sie. 2015 war für sie dann ein einschneidendes Jahr. Damals war Migration das bestimmende Thema im polnischen Wahlkampf. „Es wurde von den Rechten auf abscheuliche Weise benutzt“, so Wartecka. Sie habe sich damals entschieden, Polnisch-Kurse für Geflüchtete anzubieten. Seitdem engagiert sie sich für die Rechte von Migrant:innen. In Leipzig berichtete sie von der langen ländlichen Grenze, die Belarus und Polen teilt, und von Pushbacks, mit denen Geflüchtete dort seit 2021 verstärkt zurückgedrängt werden.
Not in Venezuela
Francelia Ruiz Lopez war aus Venezuela angereist. Auch für sie war 2015 ein entscheidendes Jahr, in dem sie begann aktivistisch tätig zu werden. Sie erzählt vom massiv unterfinanzierten Gesundheitssystem in Venezuela und vom Tod ihres Vaters aufgrund der miserablen Konditionen. „Chávez hat mir alles genommen“, sagt sie auf der Bühne und kritisiert die Politik von Hugo Chávez, der von 1999 bis 2013 Präsident ihres Landes war. Sie arbeitet mit der Gruppe „Nosotras por Todas“ (übersetzt: Wir für alle) daran, die Rolle von Frauen in der Politik zu stärken.
Als dritter Teilnehmer sprach Mauro Mondello, der seit 17 Jahren als Kriegsreporter arbeitet. Er sieht seine Rolle in einem Spannungsfeld zwischen Journalismus und Aktivismus. Bei einem seiner ersten Aufträge in Südamerika kam ihm die Erkenntnis: „Ich kann was verändern“. Als er zu Beginn seiner Karriere nach Kolumbien geschickt wurde, um über die dort ansässige Guerilla-Organisation FARC zu berichten, habe er nicht gewusst, was ihm bevorstand. „Damals war mir noch nicht klar, was genau die FARC ist, aber ich habe den Auftrag zugesagt“, erzählte er. Rückblickend. Mittlerweile hat er als Reporter aus diversen Kriegsgebieten berichtet, unter anderem aus Somalia, dem Jemen, Syrien und der Ukraine.
Queer sein in Georgien
Als vierte Person auf dem Podium erzählte Ana Tavadze ihre Geschichte. Sie setzt sich in Georgien für Rechte von queeren Menschen ein. Auf der Bühne erzählte sie, wie sie 2008 im Alter von elf Jahren den mehrtägigen russisch-georgischen Krieg erlebt hat: „Ich war so wütend und erfüllt von einem Gefühl der Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit“. Als sie begann, sich vermehrt mit ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen, wurde ihr klar: „Als queeres Kind oder Jugendliche hat man es in Georgien schwer“. Das Land sei tief geprägt durch konservative und queer-feindliche Einstellungen. Nach einem Studium in Amsterdam, bei dem ihr der offenere Umgang mit Frauen- und Queer-Rechten in Westeuropa deutlich wurde, kehrte sie 2019 nach Georgien zurück und arbeitet dort in Tiflis für die Organisation „Tbilisi Pride“.
Die REVOLUTIONALE bot internationalen Aktivist:innen einen Raum zum Erzählen und zum Zuhören – und die Möglichkeit, Einblicke in ihre Arbeit um nach außen zu tragen. Für viele der Teilnehmenden ein wichtiger Antrieb und eine Möglichkeit, sich gegenseitig zu stärken. Stephan Stach, Projektleiter der REVOLUTIONALE, formulierte in seinem Fazit zur Konferenz: „Viele hier haben oft den Eindruck, dass sie Einzelkämpfer und Einzelkämpferinnen sind. Hier konnten sie sehen, dass sie nicht alleine sind. Und dass es viele Menschen gibt, auf der ganzen Welt, die sich für Demokratie und Menschenrechte engagieren“.
Lesen Sie im zweiten Teil unseres Blog-Beitrags zur REVOLUTIONALE das Interview mit dem belarussischen Menschenrechtsaktivisten Kanstantsin Staradubets.