"Dass in den Medien gelogen wird, ist an der Tagesordnung", schrieb mir kürzlich ein Freund. Endzwanziger und TU-Freiberg-Absolvent. Polyglott, intelligent, attraktiv. Keiner, der es zu nichts gebracht hätte, der mit dem Leben hadert. Stattdessen postet er auf Facebook Fotos aus dem Hubschrauber, während der über den Grand Canyon fliegt. Wie aber begründet er den seiner Meinung nach durch namhafte Medien verursachten Vertrauensbruch? "Weil sie nicht ausgewogen berichten", so der junge Mann - und nennt den Irakkrieg als Beispiel oder Berichte zur Lage in Syrien und in der Ukraine.
So äußert er sich, der nicht mehr ganz neue TV-, Radio- und Pressefrust über Alters-, Schichtgrenzen und politische Lager hinweg. Ein Einzelfall? Mitnichten, stellt der Leipziger Journalist und Politikwissenschaftler Uwe Krüger in seinem Buch "Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen" fest. Die 170 Seiten lange und gut verständliche Arbeit ist die Chronik einer Vertrauenskrise zwischen den deutschen Leitmedien, auf die sich die Studie beschränkt - von "ZDF" bis "Welt", von "Spiegel" bis "Deutschlandfunk" - und deren Publikum. Sie leistet eine vielschichtige Ursachensuche, die einerseits die Umstände benennt, unter denen Medien - unabhängig davon, ob öffentlich-rechtlich oder privat organisiert - im Internetzeitalter arbeiten. Zum andern schaut der bei der "Leipziger Volkszeitung" ausgebildete Journalist auf Gründe für die skeptische bis feindselige Haltung vieler Nutzer gegenüber der Berichterstattung zu ausgewählten Themen. Sein Ausgangspunkt: der Jahreswechsel 2013/14, nach dem deutschlandweit ein großer Chor angeschwollen sei, der Medienkritik in Leserbriefen oder im Internet auf Schlagworte wie "Mainstream-" oder "Systemmedien", "Gleichschaltung" und "Lügenpresse" bringt. Was war passiert? Proteste in der Ukraine gegen die Politik des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch, der ein Assoziierungsabkommen mit der EU abgelehnt hatte, waren in Gewalt umgeschlagen. Janukowitsch floh. Nach Demonstrationen gegen die neue prowestliche Kiewer Regierung auf der Krim sickerten dort Soldaten ohne Hoheitsabzeichen ein.
In Moskau war zu dieser Zeit von einem "faschistischen, von den USA gesteuerten Putsch in der Ukraine" die Rede, während die Mehrheit hiesiger Leitmedien von einer "demokratischen Revolution" sprach. In Kommentarspalten wurden laut Krüger nach der "völkerrechtswidrigen russischen Krim-Annexion" harte Sanktionen gefordert: "Eine Deutung", schreibt der an der Uni Leipzig lehrende Wissenschaftler, "gegen die tausende deutsche Leser, Hörer, Zuschauer und Internetnutzer Sturm liefen." "Tatsächlich", so sein Fazit, "hat der deutsche Medien-Mainstream in der Ukraine-Frage nicht nur ein sehr enges Meinungsbild präsentiert. Es gab auch eine Reihe von Falschinformationen, falschen Bebilderungen und vernachlässigten Fakten, die alle in dasselbe Muster passten." Diese hätten vor allem die Maidan-Bewegung zulasten der prorussischen Fraktion in gutem Licht erscheinen lassen. Seine Analyse belegt er anhand zahlreicher Beispiele - etwa, dass an den Anti-Regierungs-Demonstrationen tatsächlich "militante Radikal-Nationalisten und Rechtsextreme maßgeblich beteiligt" waren, zum Beispiel die Partei Swoboda.
Dabei ist die Ukraine-Berichterstattung deutscher Leitmedien, zu denen er auch "Frankfurter Rundschau" oder "Focus" zählt, nur eines vieler Exempel, die er kritisch beleuchtet. Hinzukommen neben weiteren Ausführungen über die mediale Sicht auf die Pegida-Bewegung, die Migrationspolitik, bei der mehr Chancen von Zuwanderung gegenüber Risiken problematisiert würden, oder - als älteres Beispiel - Berichte über den Irakkrieg der Ära Bush junior, in dessen Vorfeld einseitig die Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Kernwaffen, als glaubwürdig verbreitet worden sei.
Der promovierte Diplom-Journalist zeichnet das Bild einer Medienlandschaft, die durch das Internet ökonomisch unter Druck gerät und deren Vertreter sich immer weniger Zeit nähmen für tiefgreifende Recherche ("Die Suppe wird dünner"), die sich zudem seit Jahrzehnten personell aus einem homogenen gesellschaftlichen Spektrum speise, in dem Andersdenkende und -sozialisierte selten seien. Er stellt fest: In "Sachen Bildungsstand, Parteineigung und Milieuzugehörigkeit" sind Deutschlands Journalisten "keineswegs ein Spiegel der deutschen Bevölkerung". Dies habe auch eine große Journalistenbefragung von 2005 neben anderen Untersuchungen gezeigt, die zum Ausdruck brachte, dass sich seinerzeit 36 Prozent des Berufsstandes politisch den Grünen nahe fühlten - bei der Bundestagswahl im selben Jahr kam die Partei auf 8,1 Prozent der Zweitstimmen. Überdies hätten 69 Prozent der Journalisten einen Hochschulabschluss - in der Gesamtbevölkerung sind es 14 Prozent. Zwei Drittel aller Journalisten seien zudem in einem "gut abgesicherten Angestellten- oder Beamtenhaushalt" großgeworden, Arbeiterkinder stellten eine kleine Minderheit dar.
Schließlich verweist Krüger darauf, wie abhängig Journalisten von ihren Quellen seien: Informationen von Leuten, die sich mit einer Thematik auskennen, gebe es meist nur, wenn diese zu den Regeln publiziert würden, die von den Insidern vorgegeben werden. Dem entgegen stehe das Vertrauen der Mediennutzer, die nicht das Gefühl bekommen dürften, Journalisten seien Sprachrohre der Mächtigen. Daraus rühre die Gefahr her, dass "gut gemeinte Einseitigkeiten" Wirklichkeit unterdrückten. Lücken und Tendenzen zeichneten daher viele Berichte aus, statt dass sie einer von Politik, Wirtschaft oder dunklen Mächten gesteuerten Gleichschaltung unterlägen.
Ist die Entfremdung zwischen Medien und Nutzern gefährlich? Ja, sagt Krüger: "Es geht ums Ganze." Und verweist auf ein Repräsentationsdefizit, das viele Bürger ausmachten. Was also tun? Journalisten müssten im Webzeitalter "mehr [die] Auseinandersetzung mit den Menschen" suchen. Dazu sollten "Daten, Fakten sowie Sichtweisen und Werte" offengelegt werden, zitiert er Heiko Hilker, MDR-Rundfunkratsmitglied und einst für die Linkspartei im Sächsischen Landtag. Inszenierungen und die Interessen der Mächtigen dürften nicht nur in Fachmagazinen oder nächtlichen Dokumentationen auf Spartenkanälen offengelegt werden. Dies gehöre in die reichweitenstärksten Sendungen. Statt einer "pädagogisch-paternalistischen Haltung" solle die Medienelite Grundvertrauen in die Mündigkeit des Publikums entwickeln: "Vielleicht", schließt Krüger, "ist das der Weg zu einem neuen Verhältnis zwischen Journalisten und Nutzern, zu einem Verhältnis auf Augenhöhe."
Diese Rezension von Michael Kunze erschien am 13. Juli 2016 in der Freien Presse.
Uwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen, Sonderausgabe der Zentralen für politische Bildung, München 2016, 174 S. Erhältlich bei der Landeszentrale.