Offensichtlich nicht!

"Wenn Bürger Hasskommentare anzeigen, bewirkt das etwas." Das waren die Worte des amtierenden Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière. Doch oft genug zeigt sich das Gegenteil. Was passiert, wenn Anzeigen nichts bewirken? Was passiert, wenn Verfasser von Hasskommentaren müde lächeln, wenn sie angezeigt werden? Was macht es mit einer Gesellschaft, die ahnt, dass es keine Hilfe geben wird? Dazu schreibt Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB).

Man lernt nie aus. Das ist klar. Bisweilen freilich sind die Lernwiderstände sehr hoch.   

(1) Unter tagesschau.de vom 13. Juli 2016 las ich Folgendes: „Bundesweite Razzia heute Morgen: Gleich in 14 Bundesländern hat die Polizei im Kampf gegen Hasskommentare im Netz Wohnungen durchsucht, Computer und Smartphones beschlagnahmt. Koordiniert hat die Aktion das Bundeskriminalamt; Bund und Länder haben sich also abgesprochen – sie wollen härter als bisher vorgehen, wenn auf Facebook oder anderswo gepöbelt und gedroht wird. So etwas ist schnell hingeschrieben, erfüllt aber Straftatbestände. Beleidigung, Volksverhetzung oder Ähnliches. Daher jetzt die bundesweite Polizeiaktion." … Nicht nur die Sprache verrohe, sagt der Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. Daraus entwickelten sich auch Gewalttaten. … ‚In unserer offenen Gesellschaft gibt es Grund zu kritischer Debatte. Aber es gibt keinen Grund, Menschen mit Hass zu begegnen. Hier wird ein Tabu gebrochen und das wollen wir wieder aufrichten. Es gibt Grenzen des Umgangs miteinander, offline wie online. Unser Strafrecht gilt auch im Internet’, so sagt der Innenminister. … Die Aktion heute sollte zeigen: Vermeintliche Anonymität im Netz schütze nicht vor Strafverfolgung. Und: Wenn Bürger Hasskommentare anzeigen, bewirke das etwas. De Maiziere bekommt dafür Beifall von seinem SPD-Kollegen: Richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt, sagt Justizminister Heiko Maas.“

„gleich erschießen dieses dreckspack“

(2) Am 21. Juli 2016 unterrichtete mich Heiko Frey aus Dippoldiswalde von folgendem Vorgang: Er, Heiko Frey, habe Anzeige erstattet gegen eine namentlich bekannte Person, die auf einer öffentlich zugängigen Facebook - Seite unter dem Beitrag „Bundespolizei stellt Fahrräder und Autoradios sicher“ die Formulierung „gleich erschießen dieses dreckspack“ kommentierend eingestellt habe. Diese Formulierung hätte sich auf zwei im Beitrag erwähnte Rumänen bezogen. Die Staatsanwaltschaft Dresden habe das Ermittlungsverfahren gegen jene Person eingestellt, da durch diese Äußerung (gleich erschießen dieses dreckspack) weder der Straftatbestand der Volksverhetzung noch der Straftatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten erfüllt sei. Für die Straftat der Volksverhetzung sei die Formulierung zu konkret (Es ginge um zwei mutmaßlich kriminelle Rumänen, also nicht um alle Rumänen). Für die Straftat der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten sei die Formulierung zu unbestimmt (Es fehlten Uhrzeit, Ort und namentliche Nennung der Opfer des Tötungsdelikts.). Der Tatbestand der Beleidigung sei zwar gegeben. Gegen diesen freilich könne man nicht vorgehen, weil er nicht von den zwei betroffenen Rumänen zur Anzeige gebracht worden wäre. Heiko Frey äußerte mir gegenüber sein Unverständnis. In Punkto Rechtsstaat sei er schlicht frustriert.

(3) Am 23. Juli 2016 lese ich auf der Homepage von Rechtsanwalt Carsten R. Hoenig. Er äußert sich direkt zur Argumentation der Dresdner Staatsanwaltschaft: „Ich bin da anderer Ansicht. Staatsanwalt Tobias Uhlemann argumentiert interesse- und zielorientiert, wenn er diese Merkmale für § 111 StGB fordert. Der Standardkommentar (Schönke / Schröder / Eser StGB § 111 Rn. 11-15a) aller Jura-Erstsemester sieht es auch ganz anders: Im Übrigen jedoch braucht die angesonnene Tat nicht unbedingt nach Ort und Zeit bestimmt zu sein, und auch hinsichtlich des Opfers genügt eine Kennzeichnung in allgemeinen Wendungen, wie z. B. Aufforderung zur Lynchjustiz. Wir (Straf-) Juristen haben gelernt, für jedes Ziel, das wir verfolgen, ein passendes Argument zu finden…“

„Es ist seit längerer Zeit zu erkennen, dass die Gewaltbereitschaft in Deutschland zugenommen hat."

(4) Am 31. Juli 2016 – es ist ein sonniger Sonntag – höre ich das Interview der Woche im Deutschlandfunk. An diesem Tag steht Generalbundesanwalt Peter Frank Rede und Antwort. Er sagt u. a. Folgendes: „Es ist seit längerer Zeit zu erkennen, dass die Gewaltbereitschaft in Deutschland zugenommen hat … Es beginnt zunächst einmal mit einer Verrohung der Sprache. Und es führt dann zu einer Verrohung auch in der körperlichen Auseinandersetzung. Seit Jahren steigt der Anteil der Gewaltstraftaten. Und auch, wenn man sich die Entwicklung innerhalb der Gewaltstraftaten anschaut, so findet man immer wieder einen Anstieg auch der Vehemenz von Gewalt. Recht – und das ist das Entscheidende und Wichtige von Recht – Recht muss immer durchgesetzt werden. Recht muss insoweit standhaft bleiben, denn sonst verliert das Recht seine Achtung. Wir haben in Deutschland Werte letztendlich immer durch Rechtsnormen versucht auch abzusichern und Werteentfaltung durch das Schaffen von Recht einen Rahmen zu geben. Und nur, wenn wir diesen Rechtsrahmen auch konsequent verteidigen – und dazu gehört eine konsequente Strafverfolgung – nur, wenn wir diesen Rechtsrahmen verteidigen, dann haben wir eine Chance, dass das Recht und damit auch die Werte erhalten bleiben.“

"[Man] wird sich an keinerlei Diskussion darüber beteiligen."

(5) Am 2. August 2016 finde ich in meinem Büro einen Brief der Staatsanwaltschaft Dresden. Es ist die Antwort auf ein Schreiben von mir. Ich hatte mein Verständnis über die Empörung von Heiko Frey mitgeteilt und Diskussionsbedarf signalisiert. Die Antwort ist eindeutig: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat die besagte Anzeige gewissenhaft geprüft und die Ermittlungen eingestellt. Sie wird sich an keinerlei Diskussion darüber beteiligen.

Wie gesagt: Man lernt nie aus. Aber wer ist „Man“? Ich sollte besser sagen „ich“. Ich denke an Heiko Frey und an ungezählte andere in diesem Land, die sich um eine Kultur des Respekts, um die Achtung der Menschenwürde und um eine zivilisierte Streitkultur bemühen. Schwer genug angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Konflikte! Ich denke an meine Kollegen in der Landeszentrale, die sich in den vergangenen Jahren nach Kräften und in vielen Orten Sachsens darum bemüht haben, einerseits die öffentliche Diskussion offen zu halten und andererseits Hass, Hetze und verbale Gewalt zu identifizieren und sie im wahrsten Sinne des Wortes „des Saales zu verweisen“. Schwer genug! Ich denke auch an die, die öffentlich hassen und hetzen. Müssen sie die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht als Bestätigung empfinden? Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut. Sie zu respektieren, gilt uneingeschränkt. Ihre Entscheidungen kritiklos hinzunehmen, scheint mir in diesem Fall nicht gut möglich. Die Lernwiderstände bleiben hoch. Jedenfalls in mir.

Frank Richter, 3. August 2016