Tschechisch-deutsche Radtour: Wie erinnern wir uns an den 8. Mai?
Was bedeutet der 8. Mai aus tschechischer, was aus deutscher Perspektive? Damit setzten sich etwa 45 Teilnehmer:innen bei einer gemeinsamen Fahrradtour durch das Dreiländereck auseinander. Vom Startpunkt am Zittauer Marktplatz radelte ein Teil der Gruppe über Polen ins tschechische Chrastava. Dort begann der inhaltliche Teil mit dem Historiker Ivan Rous vom Severočeské muzeum v Liberci - dem Nordböhmischen Museum Liberec.
Erste Stationen waren das ehemalige deutsche Konzentrationslager in Chrastava und der Standort der Fabrik bei Bílý Kostel, in der zahlreiche osteuropäische Frauen Zwangsarbeit leisten mussten und durch den nationalsozialistischen Terror ums Leben kamen. Viele von ihnen starben durch Hunger, Erschöpfung, Krankheit und Ausbeutung. Ivan Rous berichtete, dass es allein in den Bezirken Liberec und Jablonec während der NS-Zeit 350 Konzentrations-, Zwangsarbeits- und Internierungslager gab. In der stark durch Textilindustrie geprägten Region wurden viele Fabriken und Betriebe für die deutsche Kriegswirtschaft und Rüstungsindustrie vereinnahmt.
Am Dreiländerpunkt sprachen Michaela Pavlátová vom Verein „Post Bellum“ und Felix Pankonin von der Hillerschen Villa über die Bedeutung des 8. Mai 1945 aus tschechischer und aus deutscher Perspektive. Michaela Pavlátová berichtete, dass 1951 zunächst der 9. Mai in der damaligen Tschechoslowakei als Feiertag eingeführt wurde, da an diesem Tag in der Sowjetunion der Sieg der Roten Armee über das nationalsozialistische Deutschland gefeiert wurde. „1991 wurde der Feiertag dann auf den 8. Mai gelegt, so wie in anderen westeuropäischen Staaten.“ Seit der Samtenen Revolution 1989 werde der 8. Mai vor allem in Pilsen und Westböhmen begangen – und dies bis heute, so Michaela Pavlátová: „In Pilsen gibt es ein viertägiges Freiheitsfest – und das ist jedes Jahr wirklich ein großes Volksfest.“
Feiern in Pilsen mit Jazz, Swing und der US-amerikanischen Flagge
„Pilsen wurde 1945 durch die US-Streitkräfte befreit. Daher feiert man mit Swing- und Jazzkonzerten, die Menschen tanzen auf den Märkten der Stadt, die Häuser werden schon Tage vorher mit US-Amerikanischen Flaggen geschmückt. Es ist auch so, dass die amerikanischen und britischen Soldaten, die Westböhmen befreit haben – oder mittlerweile deren Kinder mit ihren Familien – am 8. Mai die Stadt besuchen.“ Im offiziellen Narrativ der Tschechoslowakei sei das Land ausschließlich durch die Rote Armee befreit worden – ab 1948 wurde ignoriert, dass es die US-Armee war, die Westböhmen befreit hatte.
Heute werde der 8. Mai als Staatsfeiertag in der ganzen Tschechischen Republik begangen, mit offiziellen politischen Ansprachen, Militärparaden und Versammlungen. In ihrer Heimatstadt Liberec gebe es an diesem Tag jedoch keine großen Feiern auf den Straßen. Und in Prag spiele der 17. November, an dem 1989 Tausende von Studentinnen und Studenten mit ihren Protesten gegen die kommunistische Diktatur die Samtene Revolution auslösten, für die Öffentlichkeit eine viel größere Rolle.
Erinnern an den 17. November in Prag
Auch dieses Datum ist mit den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges verknüpft: Am 17.11.1939 hatten die nationalsozialistischen Besatzer die tschechischen Hochschulen geschlossen. Von den Studenten, die gegen das NS-Regime protestiert hatten, wurden damals neun erschossen und über 1200 junge Menschen in deutsche Konzentrationslager deportiert. „Am 17. November gibt es jedes Jahr auf der Národní třída, also der Nationalstraße in Prag, einen von jungen Menschen veranstalten großen Umzug zum Gedenken an diesen Tag, es ist sehr lebendig. Der 8. Mai wird nicht auf diese Art und Weise nicht gefeiert. Wenn man den 8. Mai feiert, dann in Pilsen“, so Pavlátová.
Felix Pankonin zeichnete nach, wie unterschiedlich dieser Tag nach 1945 in Ost- und Westdeutschland definiert und aufgeladen wurde. In der DDR wurde der Tag entsprechend des offiziellen antifaschistischen Gründungsmythos als Tag der Befreiung begangen, ohne dass es eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gegeben hätte. In der Bundesrepublik habe der 8. Mai lange als Tag der Niederlage gegolten – bis Politiker wie Willy Brandt und Richard von Weizsäcker einen neuen Umgang mit dem Kriegsende gefordert hätten. Der Paradigmenwechsel in der Bundesrepublik war ein langer gesellschaftlicher und politischer Prozess.
„In Deutschland sollte der 8. Mai mit Demut begangen werden“
Er selbst, so schloss Pankonin, sei sich nicht so sicher, ob der 8. Mai im heutigen Deutschland offizieller Gedenk- oder Feiertag werden sollte. „Mir persönlich wäre wichtig, dass der 8. Mai, wenn er denn hier begangen wird, mit Demut begangen wird. Es ist vor allem ein Tag, an dem wir daran erinnern sollten, wie hart dem letztlich bedingungslos kapitulierenden Deutschland dieser Sieg abgerungen werden musste – und wieviel Leid Deutschland den anderen Ländern in Europa zugefügt hat.“