"Unsere jetzige Medienlandschaft existiert bald nicht mehr."

Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung hat ein neues Buch im Angebot: „Medien in Sachsen. Wie sie funktionieren und wer Medienpolitik macht“. Das Buch von Peter Stawowy und Christopher M. Brinkmann ist ab sofort bestellbar, eine kostenlose PDF steht zum Download bereit auf unserer Website. Zur Buchvorstellung in Dresden diskutierten die Autoren mit Ine Dippmann, Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes Sachsen (DJV Sachsen), einige Thesen zum Stand und zur Zukunft der sächsischen Medienlandschaft.

 

These: Künstliche Intelligenz macht den Journalismus besser.

Bereits mit der ersten These wurde es kontrovers. Medienwissenschaftler Christopher M. Brinkmann stimmte sofort zu. Wenn sich zukünftig die KI um Wetterbericht und Börsennachrichten kümmert, bleibt mehr Zeit für Recherchen. Und auch dabei kann die KI helfen, wie die Auswertung der enormen Datenmengen der Panama-Papers zeigte.

Angesichts des Spardrucks kann sich die Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes Ine Dippmann nicht vorstellen, dass eingesparte Wetterfrösche in anderer Ressorts wechseln könnten. Medienhäuser würden diese Sparmöglichkeiten nutzen. Zudem gäbe es auch fachlich Grenzen. Einig war man sich, dass die KI bei der Recherche und Ideenfindung hilfreich sein kann.

These: Gemeinnützigkeit könnte viele Probleme des Journalismus lösen.

Von der Steuervergünstigung könnten große Recherchenetzwerke wie CORRECTIV profitieren, betonte Peter Stawowy. Dem gemeinnützigen Lokaljournalismus bringen Steuervergünstigungen dagegen nicht viel. Dieser benötigt vor allem Unterstützung bei der Infrastruktur, hielt Ine Dippmann dagegen. Computer, Netzwerke und Arbeitsplätze wären dringender. Aber, wer soll das bezahlen? Und an welche Kriterien sollte die Gemeinnützigkeit geknüpft sein, fragte Christopher M. Brinkmann.

These: Bürger-Journalisten werden eine immer größere Rolle spielen. Wir brauchen spezielle Fortbildungsangebote dafür.

Der örtliche Informationsbedarf wird immer weniger von lokalen Zeitungsredaktionen gedeckt. Parallel nimmt der Bürger-Journalismus zu, zahlreiche WhatsApp-Gruppen mit erheblicher Reichweite sind ein Beleg. „Der Bürger-Journalismus ist da und er gehört zur Zukunft der sächsischen Medienlandschaft.“, konstatiert Medienwissenschaftler Brinkmann. Strittig ist die Qualität der Inhalte. Neben sauberen Recherchen, sieht Peter Stawowy eine Vielzahl handwerklich unzureichender Beiträge. Er plädiert für niederschwellige Fortbildungsangebote, nicht zuletzt würde die Gesellschaft von einem besseren Bürger-Journalismus profitieren. 

These: In einer Demokratie sind öffentlich-rechtliche Sender unverzichtbar.

Die generelle Aussage der These war mit dem Verweis auf die antiken Demokratien schnell widerlegt. Einig war man sich allerdings, dass der öffentlich-rechtliche-Rundfunk die Demokratie besser macht. Nur er kann durch seine Unabhängigkeit die Geschehnisse für die Menschen umfänglich einordnen. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglicht eine inhaltlich breite, tiefgründige und regionale Nachrichtenlage, die kommerzielle Anbieter nicht gewährleisten können. Aber auch das kostet und so sei „das Versprechen einer Beitragsstabilität purer Populismus“, betonte Peter Stawowy.   

These: Politische Medienbildung erreicht in Sachsen zu wenige Menschen, die sie besonders nötig hätten.

Lebenswelten sind Medienwelten. Politische und Medienbildung sind inzwischen untrennbar und nötiger denn je. Auch, oder gerade, weil der individuell wahrgenommene Bedarf an politischer Medienbildung, besonders bei Erwachsenen, gering ist. Die von der SLpB herausgegebene Studie "Medienkompetenz in Sachsen" belegt dies eindrücklich. Christopher M. Brinkmann mahnt, Fake-News wirken in unserer Medienwelt politisch – Medienkompetenz ist Demokratiekompetenz. Und Ine Dippmann berichtet von ihren Erfahrungen bei Gesprächsveranstaltungen. Sehr häufig wird sie auf vermeintliche Direktiven aus dem Kanzleramt angesprochen und erlebt zum Teil eine geringe Bereitschaft, sich auf konträre Positionen einzulassen.  

These: Radio, Fernsehen und Zeitungen in ihrer klassischen Form haben in Sachsen demnächst ausgedient.

Peter Stawowy ist sicher: "Unsere jetzige Medienlandschaft existiert bald nicht mehr." Regionale Tageszeitungen sind ab einer bestimmten Auflagenhöhe nicht mehr wirtschaftlich. Angesichts der rückläufigen Zahlen ist diese Grenze bald erreicht. Dann gibt es Zeitungen nur noch online, als Wochenzeitungen oder überregional. Für den ländlichen Raum befürchtet Christopher M. Brinkmann Nachrichtenwüsten mit demokratiegefährdenden Auswirkungen, zahlreiche Beispiele für diesen Zusammenhang lassen sich in den USA finden. Diese Befürchtungen teilen die Gesprächspartner, ebenso die Annahme, dass das Radio als Nebenher-Medium die größten Überlebenschancen hat.

These: Soziale Medien müssen dringend stärker reguliert werden.

„Was in den sozialen Medien passiert, ist eine Katastrophe. Über die aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft müssen wir uns nicht wundern“ findet Blogger Stawowy und sieht Regulierungsbedarf. Zustimmung von Christopher M. Brinkmann, allerdings sieht er keine wirksamen Eingriffsmöglichkeiten für den Staat. Wie will Deutschland oder die EU Telegram regulieren, wenn das Unternehmen in Dubai sitzt? Ine Dippmann sieht auch die Radikalisierung in den sozialen Medien mit Sorge, mahnt aber zur Vorsicht. Auch für den digitalen Raum gilt das hohe Gut der Meinungsfreiheit und Regulierungsversuche würden schnell als Zensur wahrgenommen.

These: Die Zeit der großen Shitstorms ist auch in Sachsen vorüber, politische Debatte finden immer häufiger in geschlossenen Gruppen statt.

Ganz allgemein sieht Peter Stawowy eine zunehmende Nachrichtenverweigerung und Abstumpfung. Ergänzend schildet Christopher M. Brinkmann den Rückzug in geschlossenen Gruppen und die abnehmende Bereitschaft, sich kognitiven Dissonanzen auszusetzen. Beide vermuten, dass die Gesellschaft öffentlichen Diskursen eher ausweicht. Angesichts der massiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung rund um die jüngsten Bauern- und Handwerkerproteste oder nach den CORRECTIV-Recherchen kann  Ine Dippmann keine Diskursverweigerung erkennen. Im Gegenteil: „Aufregung ist nicht schlimm. Reibung erzeugt Wärme. Das tut uns allen gut.“

 

Das Buch „Medien in Sachsen. Wie sie funktionieren und wer Medienpolitik macht“ bietet einen Einstieg in die Felder Journalismus und Medienpolitik im Freistaat. Es erklärt grundlegende Arbeitsweisen der Medienpraxis und zeigt beispielhaft die Strukturen und Entscheidungsprozesse der Medienpolitik, die Prinzipien der Medienregulierung und -förderung, die regionale Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und betrachtet das Aufkommen neuer journalistischer Angebote und Verbreitungswege. Kostenlose PDF steht zum Download.