Netzpolitik – was ist das?
Viele politisch Interessierte, insbesondere der älteren Generationen, fremdeln noch mit diesem Begriff. Das darf der Wichtigkeit dieses Themas allerdings keinen Abbruch tun. Doch nähern wir uns der Semantik des Begriffs einfach mal ganz grundlegend: Hinter der Symbiose der Wörter „Netz“ und „Politik“ verbirgt sich ein Themenkomplex, mit dem wir tagtäglich konfrontiert sind. In weiten Teilen geschieht das ganz ohne dass wir uns darüber aktiv bewusst werden. Das Wort „Netz“ – und gemeint ist hier das Internet, die digitale Welt, die uns Zugang zu unbegrenzten Informationen und nie gedachten Möglichkeiten offeriert - spielt eine immer größere Rolle in unserem Alltag. Ganze 90 Prozent der Deutschen nutzen das Internet täglich, und das im Schnitt 2:29h am Tag!
Zur Begriffsdefinition von Politik lassen sich unzählige Eingrenzungen finden. Doch belassen wir es ganz grundsätzlich bei der Idee, Politik sei die „Staatskunst“ und regele das geordnete Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger. Dabei geht es um alles, was mit Gestaltung und Einflussnahme in Gesellschaft zu tun hat. Sowohl im öffentlichen als auch im persönlichen Bereich. Und genau hierunter fällt der Begriff der Netzpolitik. Gemeint ist also die Gestaltung und ordnende Einflussnahme auf das digitale Miteinander, auf die digitalen sozialen Netzwerke.
Markus Beckedahl und die digitalen Spuren im Netz
Die enorme Betroffenheit der Bürger*innen von netzpolitischen Themen ist faktisch also unbestreitbar. In der Realität jedoch zeichnet sich ein anderes Bild ab: Die Datenschutzverfechter und Vordenker netzpolitischer Themen kommen Vielen wie Hysteriker vor, die ein allzu schlimmes Bild von der digitalen Welt zeichnen.
Einen der einflussreichsten Netzaktivisten haben wir in Berlin getroffen: Markus Beckedahl, Gründer und netzpolitischer Journalist bei netzpolitik.org. Im Gespräch bestätigte er, dass wir im Internet tatsächlich unausweichlich Spuren hinterlassen. Diese werden von Anderen aus monetären Motiven heraus gespeichert und verwendet. Wie sonst könnten wir uns erklären, dass die bei Instagram geschaltete Werbung exakt den Pullover bewirbt, den ich wirklich gerne tragen würde. - Und das ganz ohne dass ich überhaupt einen Pullover im Vintage-Style gesucht habe?
Algorithmen und das digitale Ich
Im Prinzip ist das einfach zu erklären, und verdeutlicht man sich diesen Weg, wird auch klarer, warum Datenschutz eben doch einen hohen politischen Wert hat. Die Seiten, die ich in sozialen Netzwerken like ergeben in ihrer Summe ein digitales Bild von mir selbst. Je konkreter ich meine Interessen digital offenbare, desto konkreter kann ich als Kunde „beworben“ werden. Um den besagten Pullover angezeigt zu bekommen bedarf es nicht einmal einer gefällt-mir-Angabe bei einem Modelabel. Es reicht schon völlig aus, dass ich irgendeine Vorliebe für beispielsweise „alte Möbel“ preisgegeben habe.
Das Unternehmen mit dem Vintage-Pullover im Angebot bewirbt über Facebook einfach die Zielgruppe „weiblich - unter 30 – alte Möbel – retro -….“ und bewirbt nur diese Kundinnen. Die Liste lässt sich natürlich beliebig ausbreiten und variieren. So weit so gut - lieber bekomme ich einen schönen Pullover angezeigt als Autowerbung, die mich nun mal gar nicht interessiert.
Die politische Dimension
Doch das Problem bekommt eine andere Dimension, wenn hiermit gezielt Wahlkampf oder Propaganda betrieben wird. Der neueste Facebook-Skandal um das Verwenden personenbezogener Daten für den US-Wahlkampf seitens Cambridge Analytica führt nur vor Augen, was schon längst passiert: Denn genauso wie es möglich ist, gezielt Werbung für Pullover zu schalten, können auch gezielt politische Falschmeldungen platziert werden. Es scheint doch nur evident, dass ich die Erfolge meiner Partei enorm erhöhe, wenn ich gezielt Falschmeldungen bei Anhängern der Gegenseite zum Schaden des politischen Gegners bewerbe und gleichzeitig meine eigene Zielgruppe oder Anhängerschaft nur mit positiven Neuigkeiten meines politischen Wirkens beglücke.
… und in Deutschland?
Die Folgen dieses Missachtens der Sphäre zwischen Politik und Netz spüren die Amerikaner*innen und die ganze Welt seit dem Ausgang der Präsidentschaftswahl nun ganz konkret. Das hat nichts mit der Missachtung von Regeln zu tun, sondern einzig mit dem Ausschöpfen der gegebenen Möglichkeiten. Markus Beckedahl betont, die Politik habe hier etwas verschlafen und auch die erst kürzlich angenommene Datenschutzreform der EU, sei heute schon in Teilen überholt.
Wir sollten uns also Nichts vormachen, derartige Manipulationen sind auch in Deutschland denkbar. Wo ein Vakuum existiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich politische Akteure die enormen Vorteile der Big Data Welt zunutze machen und hiervon politisch profitieren. Die Politik muss Antworten finden auf dieses schnelllebige Problem. Denn die Neuerungen des Internets warten nicht erst auf ein neues Datenschutzgesetz. Das bedeutet in der Konsequenz, unbequeme Wirklichkeiten anzuerkennen: Bei einem Altersdurchschnitt der Bundestagsabgeordneten von 49 Jahren, scheint das digitale Verständnis nicht allzu ausgeprägt.
Die wirklich drängenden Probleme, so wurde uns während der Berlinfahrt bewusst, treten immer erst durch einen schwerwiegenden Skandal ans Licht - und somit eigentlich dann, wenn es schon (fast) zu spät ist.
Die Autorin Julia Rüdiger absolviert ein Praktikum bei der SLpB. Dabei begleitete sie u.a. die netzpolitische Berlinfahrt vom 22. bis 24. März 2018.