Wenn Hass nicht im Netz bleibt

Ende April diskutierten im Dresdner Hygienemuseum knapp einhundert Menschen aus Zivilgesellschaft und Behörden über digitale Gewalt gegen politisch engagierte Menschen. Auf dem gemeinsam mit HateAid organisierten Fachtag ging es darum, wie Betroffenen geholfen werden kann und wie sie sich im Vorfeld schützen können. Nur eine Woche später wurde auf erschütternde Weise bestätigt, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist.

Beim Aufhängen von Wahlplakaten wurde in Dresden der sächsische Spitzendkandidat der SPD zur Europawahl, Matthias Ecke, bei einem Angriff von vier Tätern schwer verletzt. Er erlitt Knochenbrüche im Gesicht und musste operiert werden. Am selben Abend wurden in der Landeshauptstadt auch zwei Plakatierteams vom Bündnis 90/Die Grünen tätlich angegriffen. Attacken gegen Kandidatinnen und Kandidaten und deren Helfern werden auch in anderen sächsischen Städten zunehmend beobachtet.

Der Weg von der digitalen zur physischen Gewalt kann kurz sein

Die gewachsene Gewalt auf den Straßen ist auch eine Folge von gewachsener Gewalt im digitalen Raum. Hass und Hetze im Internet bestärken Menschen darin, Andere als Feinde wahrzunehmen und diese dann auch physisch anzugreifen. Dabei ist digitale Gewalt in vielen Fällen schon an sich eine Straftat und bringt für die Betroffenen oft psychische und mitunter physische Leiden. Schaden nehmen dabei aber auch das gesellschaftliche Miteinander und die Demokratie an sich.

Laut der aktuellen Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“, durchgeführt vom Kompetenznetzwerk Hass im Netz,  sind politisch Engagierte besonders häufig von Beleidigungen, Bedrohungen und Anfeindungen betroffen. Hinter den Angriffen steckt zumeist die politische Strategie, bestimmte Menschen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen. Eine dramatische Folge sei, dass sich die Betroffenen aus der Öffentlichkeit, aus politischen Debatten oder sogar gänzlich aus der Politik zurückziehen. „Die Stimmen derjenigen die betroffen sind, werden leiser, wenn der Hass lauter wird“, stellen die Autorinnen und Autoren fest.

Organisiert hatte den Fachtag die Organisation HateAid; die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung war als Kooperationspartner mit dabei. HateAid ist eine gemeinnützige Organisation. Diese hilft Betroffenen von digitaler Gewalt durch Beratung, rechtlichen Beistand und finanzielle Hilfe in Prozessen. Zudem versucht die Organisation, Öffentlichkeit und Politik für die Problematik von Hass im Internet zu sensibilisieren. Josephine Ballon ist seit fünf Jahren als Rechtsanwältin und mittlerweile eine von zwei Geschäftsführerinnen bei HateAid.

Frau Ballon, Sie beobachten seit einigen Jahren Hass im digitalen Raum. Wie haben sich Gewalt und Hass im Internet in den letzten fünf Jahren entwickelt?

Wenn es in der Anfangszeit vor allem die Themen Flucht und Migration waren, die digitale Angriffe nach sich zogen, dann ist die Themenvielfalt jetzt viel breiter. Heutzutage gibt es kaum ein Thema, was nicht politisch aufgeladen ist und möglicherweise Angriffe nach sich ziehen kann. Zum zweiten sind auch andere Formen von Angriffen dazugekommen, teilweise bedingt durch technische Neuerungen. Zum Beispiel können pornografische Deepfakes durch KI extrem einfach erstellt werden.

Wie weit verbreitet ist digitale Gewalt?

Digitale Gewalt ist sehr verbreitet. Wir sehen das in Studien schon seit 2019. Wir haben kürzlich auch eine Studie mit herausgegeben: „Lauter Hass – leiser Rückzug“. Die hat nochmal gezeigt hat, dass ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland schon einmal selbst betroffen waren und die Zahlen werden höher, wenn man sich die jungen Erwachsenen anschaut.

Wer ist besonders von Hass im Internet betroffen?

Da gibt es vor allem zwei Gruppen: Das eine sind Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören, die auch schon im analogen Raum Diskriminierung erfahren haben und aufgrund gruppenbezogener Merkmale angegriffen werden. Und es sind auch Politiker*innen, politisch aktive Menschen und Menschen, die ihre politische Meinung sagen und dann angegriffen werden.

Wer sind denn diejenigen, die Hassnachrichten gegen politisch engagierte Menschen richten und was treibt sie an?

Wir wissen es nicht hundert Prozent genau. Nach wie ist vor die Identifizierung der Täterinnen und Täter die größte Herausforderung. Man hört von den Staatsanwaltschaften, dass es potentiell eher Männer über 40 sind. Aber man weiß auch nicht genau, ob das vielleicht nur die sind, die ihre Identität nicht verschleiern.

Aus Zahlen des Bundeskriminalamts und auch aus eigenen Untersuchungen wissen wir, dass es vor allem rechtsextreme Strukturen sind, die digitale Gewalt verbreiten. Wir sehen regelmäßig, dass diejenigen, die besonders viele Kommentare posten und sich sehr aktiv an der Verbreitung von Shitstorms beteiligen, dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen sind.

Wobei auch die Zahl der politisch nicht Zuordenbaren steigt, was in meinen Augen diese Verfächerung der Themen zeigt. Im Internet hat man den Kontext ja häufig nicht. Man hat oft nur einen einzigen Satz in einer Kommentarspalte.

Was erwarten Sie in dem Zusammenhang für das laufen Wahljahr?

Natürlich ist Wahlkampf eine Zeit, in der sich Kandidierende besonders exponieren – sie gehen mit ihren Botschaften raus und viel unter Leute. Mit einer Zunahme der Polarisierung häufen sich Angriffe in dieser Zeit. Es hat sich gezeigt, dass diese sich auf das analoge Leben erstrecken. Das ist besonders erschreckend, denn mit einer zunehmenden Verrohung in der Gesellschaft – online und offline – müssen wir befürchten, dass bald niemand mehr freiwillig kandidiert. Dann sieht es schlecht aus für die Demokratie.

Welche Tipps geben Sie jenen an die Hand, die Hassnachrichten bekommen und Anfeindungen ausgesetzt sind?

In erster Linie ernst zu nehmen, was da passiert und es nicht als neue Art miteinander im Internet umzugehen abzutun. Und es ist wichtig, sich Unterstützung zu suchen – bei der Beratungsstelle, im eigenen sozialen Umfeld oder bei einer anwaltlichen Vertretung. Vor allem ist es auch wichtig, sich vorzubereiten. Gerade wenn man jetzt in einen Wahlkampf geht und sich für ein politisches Amt aufstellt, sollte man Maßnahmen ergreifen: eine Melderegistersperre einrichten, oder zusehen, dass persönliche Informationen auch über die Familie nicht im Internet auffindbar sind.

Was können Menschen tun, die digitale Gewalt gegen andere in Posts und Kommentarspalten beobachten?

In erster Linie kann man solche Inhalte bei den sozialen Plattformen melden, damit sie verschwinden. Und wenn man Volksverhetzung sieht, wenn zum Hass gegen Gruppen aufgerufen wird, wenn man verfassungsfeindliche Symbole sieht, kann man diese anzeigen. Man sollte nicht wegsehen und sich mit den Betroffenen solidarisieren, ihnen Zuspruch geben. Wenn man sich das in den öffentlichen Kommentarspalten nicht traut, kann man das auch in einer Privatnachricht machen.

Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, nicht zu schweigen, sondern einzugreifen?

Um der Normalisierung entgegenzuwirken – gerade auch weil sich alle schon so daran gewöhnt haben und diese Straftaten gar nicht mehr als solche erkennen. Hass im Internet ist kein Problem, das nur die einzelne Person betrifft. Sondern es geht darum an der Person ein Exempel zu statuieren, sie ist eine Projektionsfläche für etwas, wofür sie steht. Und deswegen geht es um uns alle, um unser sicheres Zusammenleben in einer Gesellschaft, in der alle die gleichen Rechte haben sollten.

Wo Betroffene Hilfe finden können:

  • HateAid – rechtliche Betroffenenberatung und finanzielle Unterstützung in Prozessen, Informationsmaterial und Hintergründe, bundesweit
  • Support – Beratung von Opfern von digitaler Gewalt, Meldeformular und Hintergrundinformationen, sachsenweit
  • ZASTEX – Zentrale Ansprechstelle der Polizei Sachsen für Opfer (rechts)extremistischer Gewalt
  • Online-Wache Sachsen – polizeiliche Anzeige online erstatten
  • ZORA – Zentrale Anlaufstelle für Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus; Ansprechpersonen für kommunale Mandatsträger und zivilgesellschaftliche Akteure, bei der Sächsischen Generalstaatsanwaltschaft
  • Weißer Ring – allgemeine Beratung und Unterstützung für Betroffene von Straftaten
  • 0351 - 850 75 222 – Helpline, mehrsprachiges Hilfstelefon in verschiedenen Fällen von Not, sachsenweit