"Wenn Sie nach Israel kommen, sind Sie verwirrt. Wenn Sie nach dieser Reise wieder heimkommen, sind Sie verwirrt auf einem höheren Niveau."
Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Micky Drill, einem der vielen Referenten während meiner Bildungsreise nach Israel im Oktober dieses Jahres. Er hat Recht behalten - aber nur zum Teil - denn ich bin zwar "verwirrt" heimgekommen ob der unterschiedlichsten politischen Ansichten und Ideen im Schmelztiegel Israel, vor allem aber erfüllt von den vielfältigen Eindrücken, Emotionen, Begegnungen und Informationen, die dieses spannende Land zu bieten hat. Die Bildungsreise nach Israel mit der SLPB bot all dieses, so dass die einhellige Meinung der Teilnehmer zum Schluss lautete: "Es war wahnsinnig schön und wahnsinnig anstrengend". Nun ist das Attribut "wahnsinnig" nicht unbedingt geeignet, um den Wert einer Reise zu beschreiben. Ich möchte also nun aus der Fülle der Erlebnisse schöpfen und erzählen, warum diese Reise für mich ein unvergessliches Erlebnis wurde.
Ein Ereignis der besonderen Art war schon der Flug mit seinen übergenauen Sicherheitskontrollen und Befragungen. Unsere Reiseleitung hatte uns schon beim Vorseminar darauf vorbereitet, dass das Einchecken etwas länger dauern könnte, sie sollte Recht behalten. Als einer unserer Referenten später davon sprach, dass "das Schüren von Ängsten zum Konzept des israelischen Selbstverständnisses" gehöre, wusste ich, was er meinte. Dies wird auch überall im Land deutlich - die Präsenz des Militärs gehört zum israelischen Alltag.
Auf der Fahrt zum Hotel bekam ich einen ersten Eindruck von Tel Aviv - eine Stadt wie ein Teenager in der Pubertät - noch jung, aber plötzlich groß, noch nicht fertig, chaotisch und gegensätzlich. Dass auch Tel Aviv eine "erwachsene" Seite hat, erkannte ich am nächsten Tag bei der Besichtigung von Jaffa, dem Hafenort, der den ältesten Teil Tel Avivs bildet, und der Gartenstadt mit seiner interessanten Architektur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Offiziell stand noch die Besichtigung des Diaspora-Museums auf dem Programm und inoffiziell nutzten wir unsere kurze Freizeit, um dem Mittelmeer unsere Referenz zu erweisen, indem wir darin badeten. Am nächsten Tag verließen wir Tel Aviv und hielten auf dem Weg zu unserer nächsten Unterkunft kurz in Haifa, wo wir den Ausblick auf die malerischen Gärten des Bahai genießen konnten. Dann fuhren wir auch schon weiter zur Kreuzfahrerstadt Akko. Wir besichtigten die Festungsanlage und hatten ein wenig Zeit, die Aussicht auf das Mittelmeer zu genießen. Nun ging es weiter nach Yarka. Einer unserer Referenten empfing uns dort in seinem Wohnhaus mit Kaffee, Obst und Süßigkeiten und brachte uns die Lage der Bevölkerung aus arabischer Sicht auf ganz persönliche Weise näher.
Einen besonderen Moment erlebten wir am späten Nachmittag, als wir den See Genezareth zum ersten Mal erblickten. Selbst ich als Mensch ohne religiöse Bindung spürte diesen Moment intensiv und die Bedeutung als Wiege der Christenheit wurde mir sehr bewusst. Die Vielfalt der Eindrücke dieses Tages sollte immer noch kein Ende nehmen - als wir am Abend unser Hoteldorf erreichten, waren wir begeistert. Direkt am See Genezareth übernachteten wir in einer wunderschönen Hotelanlage mit kleinen Bungalows. Ich hätte mir am Morgen dieses Tages nicht vorstellen können, dass ich abends im See Genezareth schwimmen würde. Die Ruhe des nächtlichen Sees bescherte mir eine unvergessliche Erfahrung. Den Abend ließen wir Reiseteilnehmer gemeinsam in großer Runde am See ausklingen.
Der nächste Vormittag gehörte den heiligen Stätten am See Genezareth. Wir besichtigten verschiedene Orte, die mit dem Wirken von Jesus Christus verbunden sind. Manch einer war sicher über das Ausmaß des Pilgertourismus, das wir dort erlebten, überrascht - aber letztlich waren wir ja selbst ein Teil davon. Trotz der vielen Menschen konnte man für sich ruhige Orte und Momente finden, um diese Stätten auf sich wirken zu lassen.
Am Nachmittag wurde für uns die aktuelle politische Lage der Israelis sehr greifbar. Eine Fahrt auf die Golan-Höhen und an die libanesische Grenze machte uns klar, dass die Präsenz des israelischen Militärs seine Berechtigung hat. Wir besuchten ein Kibbutz, dass sich direkt am Grenzzaun befindet. Aus erster Hand von den Schrecknissen zu hören, die Terroristen in der Vergangenheit unter den Kindern des Lagers angerichtet hatten, machte uns sehr betroffen und ließ uns die Gefahr, deren die Bewohner in manchen Zeiten ausgesetzt sind, sehr real werden.
Am nächsten Tag verließen wir unsere schöne Unterkunft am See Genezareth und fuhren durch das Westjordanland in Richtung Jerusalem. Kurz vor Jerusalem besichtigten wir die Stadt Maale Adumim und ich brauchte tatsächlich einige Zeit, bis ich realisierte, dass es sich bei dieser modernen und immer noch wachsenden Stadt um eine jüdische Siedlung in der Westbank handelt. Hier wurde mir die Realität der Siedlungspolitik sehr deutlich vor Augen geführt. Es ist fast absurd zu glauben, dass die jüdischen Siedler Städte in diesem Ausmaß jemals wieder aufgeben.
Und nun endlich - Jerusalem. Die Fülle der Eindrücke zu beschreiben ist unmöglich. Die jahrtausendealte Geschichte, die diese Stadt atmet, die Bedeutung für drei Weltreligionen - schon von weitem sieht man die Mauern der Altstadt, den Tempelberg und den Ölberg - das jüdische Selbstverständnis und Alltagsleben, das Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen, all das macht die Stadt so lebendig und bunt. Dies spürte ich vor allem am nächsten Tag noch einmal sehr deutlich, als ich mit einigen Reiseteilnehmern die Freizeit nutzte, um alle vier Viertel der jüdischen Altstadt zu durchstreifen, das jüdische, das arabische, das christliche und das armenische.
Sehr wichtig und sicher unauslöschlich war für die gesamte Gruppe der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Ich glaube, ich muss nicht besonders hervorheben, wie bedeutsam dieser Besuch für uns war. Am Anfang stand die Führung durch die Gedenkstätte mit der Halle der Erinnerung und der Halle der Namen. Unserer Betreuerin gelang es sehr einfühlsam, uns die Bedeutung dieser Gedenk- und Begegnungsstätte zu verdeutlichen. Der anschließende Besuch des Denkmals für die Kinder hat mich tief bewegt und an meine Grenzen gebracht. Ich glaube, es war für uns alle gut, danach noch still und doch gemeinsam durch das Gelände gehen zu können, auf der Allee der "Gerechten unter den Völkern" entlang zum Tal der Gemeinden. Dort erwiesen wir den Opfern der Shoa unsere Ehre.
Da unsere Reise ja eine Bildungsreise war, wurde sie natürlich auch von den vielen Vorträgen geprägt, die uns geboten wurden. Ich habe nachgezählt, es waren 13 (dreizehn!) Referenten, die uns während der neuntägigen Reise Wissenswertes boten. Das klingt viel, und das war auch viel und manches Mal waren wir sicherlich an der Grenze unserer Aufnahmefähigkeit angelangt - und trotzdem: wenn mich jemand fragen würde, welcher der Vorträge wegfallen könnte - ich hätte keine Antwort. Gerade die unterschiedlichen Aspekte und Sichtweisen der Referenten machten es so wertvoll und in der Summe ausgewogen. Innere und äußere Sicht, jüdische und palästinensische Meinung - all das ist wichtig, um das Land besser kennenzulernen. Eingeprägt hat sich mir zum Beispiel der Nahostkorrespondent Dr. Gil Yaron mit einem Vortrag zur aktuellen politischen Lage, der es mit seinem unglaublich fundierten Fachwissen, seiner Redegewandtheit und seinem Humor verstand, die Probleme des Nahoststaates Israel nicht nur darzulegen, sondern sie wirklich greifbar zu machen.
Auf dem Plan stand auch das Gespräch mit einer orthodoxen Jüdin. Ich hatte die Vorstellung von einer dunkel und hochgeschlossen gekleideten Frau und war doch einigermaßen überrascht, als dann Eveline Levi vor uns stand, mit langen offenen Haaren und bunter Sommerbluse. Aufgeschlossen und erzählfreudig gab sie Auskunft über ihr Leben und beantwortete alle unsere Fragen. Ihre Herzlichkeit, gepaart mit Lebenslust und auch einem Schuss Selbstironie brachte uns das orthodoxe jüdische Leben nahe. Sie erklärte uns Kleidervorschriften, erzählte uns vom Sabbat und von vielen anderen Dingen, die den jüdischen Alltag und somit auch ihr eigenes Leben prägen. Vor allem aber machte sie uns deutlich, wie viele unterschiedliche Nuancen es innerhalb der jüdischen Religion gibt und dass orthodox zu sein nicht unbedingt bedeutet, dass sie als Frau ihre Haare bedecken muss. Deutlich wurden in den Vorträgen aber auch die Probleme, die die Israelis innerhalb ihrer Gesellschaft mit den ultraorthodoxen Juden haben, da diese mit Sonderrechten, wie der Befreiung vom Militärdienst, ausgestattet sind. Diese Sonderrechte, die zum Zeitpunkt der Staatsgründung 1948 nur etwa 400 Einwohner betrafen, gelten inzwischen für ca. 80 000 Ultraorthodoxe.
Aus der Fülle der Programmpunkte möchte ich noch unseren Ausflug am vorletzten Reisetag herausheben. Wir besichtigten das riesige Felsenareal der Bergfestung Massada. Unser einheimischer Reiseleiter Itzik erwies sich wieder als Führer mit einem unglaublich profunden Wissen und ließ es sich nicht nehmen, uns bei gefühlten 40° auch noch den letzten Stein und seine Bedeutung für die jüdische Geschichte zu erklären. So waren wir dann alle sehr gut informiert, aber auch erschöpft. Umso wunderbarer war dann unser Halt am Toten Meer, wo wir zwei gemeinsame Stunden der Entspannung genossen, natürlich nicht, ohne die obligatorischen Bilder vom Zeitungslesen während des Badens geschossen zu haben. Diese miteinander verbrachte Zeit, und auch die Abende, an denen wir zusammensaßen, uns kennenlernten und unsere vielfältigen Eindrücke verglichen, werden mir in Erinnerung bleiben.
Mein Bericht wäre nicht vollständig, ohne über unsere Reiseleitung zu loben. Mein Dank gilt hier vor allem Frau Kluge von der SLPB, die es durch ihre unglaublich gute Vorbereitung und Planung geschafft hat, die vielfältigsten Facetten Israels zu zeigen. Die Stationen unserer Rundreise durch das Land, die gut ausgewählten Referenten und nicht zuletzt unser israelischer Reiseleiter Itzik machten die Reise zu einer runden Sache. Itzik entpuppte sich als wandelndes Lexikon - egal ob es um die Geschichte Israels, die Geographie, die Architektur, die Religion oder die aktuelle Lage ging, zu jedem Thema wusste er fundiert, engagiert und mit Witz zu berichten. Er fand immer Mittel und Wege, den eng gesteckten Zeitplan einzuhalten und uns das Maximum zu bieten.
Dieses wurde an unserem letzten Tag in Jerusalem noch einmal sehr deutlich. Auf Itziks Vorschlag fuhren wir schon ganz früh (vor dem Frühstück) zum Tempelberg. So waren wir unter den ersten, die an diesem Tag an dem Heiligtum zweier Weltreligionen ankamen. Die Klagemauer war noch nicht von Touristen voll gedrängt und ich erlebte die jüdischen Einwohner Jerusalems bei ihrem Morgengebet viel ursprünglicher als zwei Tage zuvor, als wir nachmittags da waren. Vor allem aber hatte unsere Gruppe die Chance, sich ganz ausführlich und in Ruhe das riesige Tempelareal mit den beiden muslimischen Heiligtümern Felsendom und el-Aqsa-Moschee anzusehen. Hier wurde mir die mehrfache Bedeutung des Tempelbergs für zwei große Religionen noch einmal sehr bewusst - und auch deren Unversöhnlichkeit. Die lauten Zornesschreie und "Allahu Akbar"-Rufe der muslimischen Frauen, als sich zwei jüdische Männer auf dem Plateau aufhielten, habe ich noch im Ohr. Als wir den Tempelberg verließen, liefen wir an einer riesigen Warteschlange von Touristen vorbei, die alle noch auf den Tempelberg wollten - und wir waren unserem Itzik sehr dankbar. Im Hotel holten wir das Frühstück nach und waren dann gestärkt für den weiteren Tag, auf dessen Programm noch zwei Vorträge standen und eine weitere Stadtrundfahrt, die uns den Besuch des Garten Gethsemane mit seinen uralten Olivenbäumen ermöglichte.
Was bleibt mir noch als Fazit? Seit fünf Wochen bin ich nun wieder zu Hause, die Erlebnisse und Eindrücke zu verarbeiten, wird aber viel länger dauern. In der vorigen Woche habe ich die anderen Reiseteilnehmer zum Nachseminar wiedergetroffen, es war schön zu sehen, wie wir uns aufeinander gefreut haben, Fotos und Erinnerungen ausgetauscht haben und uns gar nicht richtig trennen konnten. Ich würde jederzeit wieder eine Reise mit der SLPB machen.