Sitzen ein Faktenchecker, ein Jurist und ein Public-Policy-Manager in einem Raum und stellen fest: Der Ton im Internet, in den sozialen Medien, ist rauer geworden und vermeintliche Fakten sind manchmal glatte Lügen. Auseinandersetzungen im Netz werden auf die Straße getragen, Randale von der Straße findet ihre Fortsetzung in Hass im Netz. Falschinformationen und Verschwörungsmythen finden in Windeseile Verbreitung weil soziale Medien diesen Prozess beschleunigen.
Patrick Gensing, der für die ARD Fakten überprüft und Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt abklopft, ist einer von drei Referenten des Webtalks "Desinformation, Fake News und Hassrede in 'sozialen' Netzwerken - Wie schützen wir die Demokratie im digitalen Zeitalter?". Im Rahmen der gemeinsam mit der TU Dresden organisierten interdisziplinären Vorlesungsreihe "Glokale Trends des 21. Jahrhunderts" diskutierte er am 11. November mit Maximilian Krall Pressesprecher im Bundesjustizministerium und Johannes Baldauf, Public-Policy-Manager des Medienkonzerns Facebook.
"Fake News" eher umgangssprachlich
Alle drei waren sich einig darin, dass der gemeinhin verwendete Begriff "Fake News" ein eher umgangssprachliches Konstrukt darstellt, das den eigentlichen Kern des Problems nur schwammig umhüllt. Als einen "unscharfen Kampfbegriff" beschrieb ihn Patrick Gensing. Lieber spricht er von gezielten Falschmeldungen, Desinformation und Hassrede als einer Form der psychischen Gewalt. Alle drei Phänomene seien jedoch "Teil einer größeren Strategie, um Menschen zu diskreditieren", sagte er. Maximilian Krall ergänzte und stellte fest, dass "diese Phänomene gerade in der Corona-Pandemie noch eine andere Dimension eingenommen haben. Inzwischen stellen sie eine gesellschaftlich sehr gefährliche Mischung dar." Dass ein Teil der Hassrede illegal sei, machte Johannes Baldauf deutlich und stellte gleichzeitig klar: "Nicht alles, was wir als Hassrede bezeichnen, ist illegal. Manche Hassrede fällt auch unter Beleidigung, was sie trotzdem nicht weniger schlimm macht."
Über den realen Effekt von Beleidigungen, Hassreden oder Desinformation im Internet, insbesondere bei Facebook oder Twitter, referierten vor allem der Journalist Gensing und der Jurist Krall. "Der Mord an Walter Lübcke hat eine Vorgeschichte in den sozialen Medien", sagte Maximilian Krall. "Der französische Lehrer Samuel Paty wäre mit großer Wahrscheinlichkeit noch am Leben, hätte es nicht eine Diffamierungskampagne in den sozialen Netzwerken gegeben" - im Kern antidemokratisch, antisemitisch und rassistisch seien die Hasspostings. Und sie treffen in ihrer Vehemenz nicht nur den Einzelnen, sondern "dort, wo das Herz der Demokratie schlägt, weil sich die Leute nicht weiter engagieren aus Angst vor der Bedrohung". Krall präsentierte Zahlen: Rund drei Viertel von knapp 2.500 befragten Kommunalpolitiker und -politikerinnen waren ihm Rahmen ihres Amtes bereits beleidigt, beschimpft oder bedroht worden. Fünf Prozent der Befragten wollen aus diesem Grund nicht noch einmal kandidieren. Der Jurist plädierte für strengere Regelungen, klare Abgrenzungen zu Meinungsäußerungen und eine konsequentere Verfolgung.
Antidemokratisch, antisemitisch und rassistisch
Die Rolle des US-Medienkonzerns Facebook darf dabei nicht gering eingeschätzt werden. Lange konnten dort Hass und Hetze unmoderiert und unzensiert verbreitet werden. Erst in den vergangenen Jahren wurde Kritik daran lauter. Inzwischen löscht Facebook Seiten, die beispielsweise den Holocaust leugnen, ein eigenes Programm erkennt Hassrede und löscht entsprechende Postings automatisch - weltweit etwa 22,5 Milliarden, sagte Johannes Baldauf, Public-Policy-Manager bei Facebook in Deutschland. Die selbst gesetzten Gemeinschaftsstandards seien dabei das Kriterium zum Entfernen oder Anzeigen der Inhalte, zum Löschen von Seiten, wie zuletzt im Fall der Verschwörungssekte QAnon geschehen. Diese strengere Moderation habe inzwischen dazu geführt, dass Menschen, die menschenverachtende Inhalte oder Desinformation verbreiten wollen, auf andere, unmoderierte Kanäle ausgewichen seien, den Nachrichtendienst Telegram, zum Beispiel. Baldauf sieht daher eine Aufgabe der politischen Bildung darin, die Medienkompetenz von Nutzerinnen und Nutzern zu stärken. "Wir können das Problem nicht verschwinden lassen, aber helfen, den Impact zu reduzieren", sagte er. Sein eigener Konzern habe darum Angebote für betroffene Lokalpolitiker entwickelt, außerdem Angebote zur Deradikalisierung, eine Art eigenen Faktencheck: "Wir versuchen, den Menschen so viel wie möglich vertrauensvolle Informationen an die Hand zu geben."
Mehr als 60 Menschen nahmen teil an der Veranstalung. Die abschließende Botschaft der drei Referenten an ihr Publikum war kurz und eindringlich: Jede und jeder Einzelne sollte sich engagieren und widersprechen. Soziale Medien sind nicht nur das Abbild einer Gesellschaft. Sie wirken auch wie ein Katalysator für negative wie positive Entwicklungen.