Automation überall – oder doch nicht? Zukunftsvisionen zeichnen Bilder von Maschinen, die den Menschen lästige Arbeiten abnehmen. Laut einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts für integrierte Schaltungen IIS unter sächsischen Unternehmen arbeiteten Ende 2019 lediglich 80 Firmen mit Künstlicher Intelligenz (KI). Was hält Firmen von diesen technologischen Schritten noch zurück? Torsten Hartmann, Geschäftsführer der Dresdner Avantgarde Labs GmbH, engagiert sich im Arbeitskreis „Künstliche Intelligenz“ beim Verein Silicon Saxony. Er erklärt, welche Informationen und Unterstützung sächsische Unternehmen nun dringend brauchen.
Herr Hartmann, wo steht Sachsen, wo stehen aktuell die sächsischen Unternehmen in Sachen Künstliche Intelligenz?
Sachsen gehört noch nicht zu den führenden Standorten für KI in Deutschland. Aber es tut sich was. Vielen ist bewusst, dass es ein wichtiges Thema ist. Die Umsetzung wird aber noch dauern. Die Entscheider in den Unternehmen fremdeln noch mit der KI. Sie wissen oft gar nicht, was überhaupt sinnvolle Anwendungen für ihre Branche sind.
Warum?
Es fehlen Leute, die sich Prozesse in den Firmen anschauen und Automatisierungslösungen empfehlen. Die den Überblick darüber haben, was es an KI gibt und wie sich diese technischen Möglichkeiten in der Wirtschaft einsetzen lassen.
Sehen Sie Chancen, dieses Wissen trotzdem in die Wirtschaft zu tragen?
Es braucht niederschwellige Angebote, beispielsweise Veranstaltungsformate, wo Branchenexperten mit KI-Experten zusammenkommen, um gemeinsam Lösungen und Ideen zu entwickeln. Im Arbeitskreis haben wir genau das vor. Corona hat uns da nur ein wenig ausgebremst. Wichtig ist aber auch zu zeigen: Nicht überall ist KI sinnvoll. In einigen Bereichen wird es auch in fünf oder zehn Jahren keine gangbaren Lösungen geben. Das ist wichtig für die Unternehmen zu wissen, weil sie sich dann auf andere Dinge konzentrieren können.
Aber wer ist da in der Pflicht, genau solche Prozesse anzuschieben?
Branchenverbände oder Unternehmensverbände können das. Aber auch die IHK oder Handwerkskammern haben die Kompetenzen dazu. In vielen Bereichen gibt es dahingehend auch schon etablierte Strukturen. Wir müssen nicht die Anwendung zur KI bringen, sondern die KI in Prozesse und Wertschöpfungsketten integrieren, die es schon gibt. Dann wird ein Schuh draus. Und dann kann Sachsen auch überregional und sogar international ein Wörtchen mitreden. Am Ende muss es aber Menschen geben, die für das Thema brennen, damit etwas passiert.
Jetzt sind aber längst nicht alle Fans der KI. Manche sind skeptisch oder haben sogar Angst vor diesen Entwicklungen. Was sagen Sie den Kritikern?
Ich kenne kaum jemanden, der sich mit diesen Technologien auskennt oder sie einsetzt und Angst davor hat. Angst wird durch Unwissen genährt, wenn wir nicht einschätzen können, was da auf uns zukommt. Dass Maschinen die Weltherrschaft übernehmen, wie wir es aus Filmen kennen, wird mit Blick auf den heutigen Stand der Technik in den nächsten Jahrzehnten nicht passieren. Die Angst vor wild gewordenen autonomen Systemen können wir den Menschen also nehmen.
Und welche Angst nicht?
Die Frage ist doch, was es gesellschaftlich für uns bedeutet. KI bringt einen hohen Grad an Automatisierung, so wie viele andere Technologien in der Geschichte der Industrialisierung. Es geht also vielmehr um die Angst um Arbeitsplätze, um den Sinn der Arbeit. Die eigene Verortung, was mir als Mensch bleibt, wenn Maschinen irgendwann immer größere Teile unserer Aufgaben erledigen. Darüber müssen wir einen gesellschaftlichen Diskurs führen. Natürlich wird es Menschen in verschiedenen Branchen geben, die davon mehr betroffen sein werden als andere. Aber ich glaube, wenn wir die neuen Technologien mit Bedacht einsetzen, stellen sich Wohlstandseffekte für die Menschen ein.
Wenn sich ein Unternehmen also für KI entscheidet – wird das teuer?
In den meisten Fällen nicht. Die Software für die meisten Anwendungen ist lizenzfrei zu haben. Natürlich gibt es Spezial-Anwendungen, die zum Beispiel mit dem Verarbeiten großer Datenmengen einhergehen. Dann ist die dafür notwendige Infrastruktur gefragt, die Geld kostet. Aber das sind wirklich eher die Ausnahmen. Im Normalfall kann jeder mit geringem finanziellen Aufwand starten.
Braucht es nur noch das Personal, das mit solchen Anwendungen auch umgehen kann…
Das ist richtig. Aber auch da reicht für grundlegende Sachen Know-how in Mathematik und Statistik. Wenn es spezieller wird, ist aber natürlich ein Informatik-Studium Voraussetzung. Detailkenntnisse aus der aktuellen KI-Forschung sind nur für sehr spezielle Lösungen erforderlich. Aber solche spezifischen Anwendungen brauchen die wenigsten Unternehmen.
Wenn das alles funktioniert, welche Entwicklungen sind in Sachsen in den nächsten zehn bis 20 Jahren möglich?
Ich denke, in verschiedenen Entwicklungs- und Produktionsprozessen wird sich KI etablieren. Besondere Chancen sehe ich dort, wo Sachsen bereits ausgeprägte Stärken hat, zum Beispiel in der Mikroelektronik, Sensorik oder der intelligenten Produktionstechnik. Interessant wird außerdem sein, was parallel dazu entsteht. Wir sehen es derzeit schon. Wir haben in Sachsen zahlreiche Start-ups mit vielen guten Ideen. Nehmen wir Wandelbots zum Beispiel. Wenn sich deren Vision einer einfachen Programmierung von Robotern durchsetzt, könnte es durchaus sein, dass sich in Sachsen weitere Unternehmen aus den Gebieten Robotik und KI ansiedeln.
Sie haben vorhin schon einmal einen gesellschaftlichen Diskurs angemahnt. Warum ist der zum Thema KI in Ihren Augen wichtig?
Es wird momentan überall über KI gesprochen und oft die Frage gestellt, welche Rolle das Ganze haben soll und wird. Darüber gibt es schon heute unterschiedliche Meinungen, beispielsweise in der Politik. Ein Wirtschaftsministerium sieht die Chancen, ein Sozialministerium mögliche negative Auswirkungen für die Menschen. Wir müssen in diesem Spannungsfeld über Lösungen reden, die unserer Gesellschaft guttun. KI ist eben nicht nur ein obskures Technologiethema, es diffundiert Schritt für Schritt in unser aller Leben hinein. Wir sollten deshalb darauf achten, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch einen Diskurs darüber zu führen, um gemeinsam an der Zukunft zu arbeiten.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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