Herr Knižka, Sie sind seit September mit Auftritten zu jüdischem Leben und jüdischer Kultur unterwegs. Ihr aktuelles Programm „Ich hatte einst ein schönes Vaterland…“ handelt davon. Was interessiert Sie so sehr an diesem Thema?
Angefangen haben die Musiker und ich zunächst ganz anders, nämlich mit Programmen für Kinder. Klassiker wie „Peter und der Wolf“ oder „Der Karneval der Tiere“ standen auf dem Programm. Gemeinsam gingen wir dann aber sehr schnell andere, neue Wege. Inspiriert von Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ haben wir einen literarischen Kammermusikabend zum NS-Widerstand erarbeitet, es folgte ein zweites, ebenfalls sehr erfolgreiches Programm über rechten Terror, dem wir – leider – ständig neue Wahnsinnstaten hinzufügen müssen. Auch in Sachsen war und ist das ein Thema. Hier war der NSU sehr aktiv. Es gibt Bewegungen wie Pegida und mit der AfD eine rechte Partei, die von diesen Kräften nicht weit entfernt ist. Da werden Ängste geschürt und Feindbilder entworfen. Das erinnert mich an den Beginn der 30er-Jahre, wo Juden endgültig zum Feindbild erklärt wurden. Deshalb lässt mich das Thema nicht los, ich will davon erzählen.
Was kann ein Kulturprogramm erreichen?
In jedem Fall kann es einen Perspektivwechsel bewirken. In unserem Programm geht es um 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Im Jahr 321 wurden Juden in Köln das erste Mal urkundlich erwähnt. Inzwischen machen Juden nur noch etwa 0,3 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Und noch immer sind Juden im Fokus von rechtsdenkenden Menschen, werden als „Feinde“ betrachtet. All dies möchte ich beleuchten. In unserem Programm gibt es jede Menge Musik und Literatur, Augenzeugenberichte und private Geschichten. Ich lade die Menschen ein, sich bei uns reinzusetzen, die Augen zu schließen, gute und intensive Musik zu erleben, deutsche und jüdische Geschichte.
Kommen vor allem kulturinteressierte Menschen zu Ihren Auftritten oder auch andere Milieus?
Es kommen schon oft Menschen, die sich ohnehin stark für unser Thema interessieren und noch mehr darüber erfahren möchten. Einige wollen diesen Schauspieler aus dem Fernsehen sehen. Oder einfach klassische Musik hören. Ich freue mich über alle, die kommen. Besonders, wenn ich jüngere Menschen im Publikum sehe. Manchmal kommt eine halbe Schulklasse, manchmal sind es auch einzelne jüngere Menschen.
Gibt es eine Zeile aus Ihrem Programm, die Sie besonders bewegt?
Eine Zeile aus einem Gedicht von Mascha Kaléko: „O Röslein auf der Heide, dich brach die Kraftdurchfreude“. Beide Zeilen bringen etwas zusammen, ein altes Volkslied und einen nationalsozialistischen Slogan. Das ist für mich sehr eindrücklich. Auch eine Aussage des Holocaustüberlebenden und Schriftstellers Primo Levi bewegt mich und bringt unser Anliegen gewissermaßen auf den Punkt: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“.
Sie kommen auch für Auftritte nach Sachsen. In Bautzen sind Sie aufgewachsen. Wie blicken Sie heute auf Ihre alte Heimat?
Ich bin nicht mehr so oft in der Stadt, denn meine Mutter ist vor zwei Jahren auch nach Berlin gezogen. Aber ich schaue immer noch regelmäßig nach Bautzen und wundere mich über die politischen Entwicklungen, die vor allem in Sachsen auffallen. Bei der Bundestagswahl hat auch in Bautzen erneut ein AfD-Kandidat gewonnen, das kann ich schwer nachvollziehen. 1989 hat diese Region eine echte Freiheit erlangt und nun gibt es eine Generation später plötzlich so eine Kehrtwende mit nationalen Tönen, viele wollen sich wieder abschotten. Das ist für mich nicht zu begreifen. In der Welt, in der ich lebe, ist vieles anders, offener und globaler.
Sie könnten die Entwicklungen ignorieren, weil Sie inzwischen weit weg sind, oder lässt Sie das nicht los?
Ich bin kurz vor dem Mauerfall aus der DDR geflohen und hatte damals das Gefühl, mich selbst zu entwurzeln. Ich dachte, ich kehre so schnell nicht wieder zurück in meine Heimat. Ein halbes Jahr später fiel die Mauer. Ich bin damals weggegangen, um in einer anderen Welt zu leben, mit anderen Menschen und Kulturen. Trotzdem fühle ich mich immer noch verbunden mit der sächsischen Mentalität. Ich habe nach wie vor ein Interesse daran, was in Sachsen passiert. Aus der Ferne kann ich nicht richtig mitmischen. Ich kann auf einer gewissen Popularitätsebene etwas tun und merke, dass auch das etwas bringt. Ich habe die Ergebnisse der Bundestagswahl öffentlich kommentiert und danach haben mich Menschen aus Bautzen angeschrieben und mich wissen lassen, dass sie ähnlicher Meinung sind. Sie haben mir geschrieben, dass sie sich so wie ich Sorgen machen um unsere Heimat. Und, dass sie sich zurückziehen, weil sie Angst haben vor dem, was in ihrer Gegend geschieht. Es ist furchtbar, so etwas zu hören.
Sie sind vor kurzem in Halle/Saale aufgetreten. Was haben Sie dort erlebt?
Wir haben ein Konzert gegeben am zweiten Jahrestag des Anschlags eines Rechtsterroristen auf die Synagoge. Ich habe mich gewundert, weil es so eine starke Polizeipräsenz in Halle gab. Ich dachte erst wegen des Jahrestags, aber nein, ein Rechtsextremist hatte zu mehreren Demos aufgerufen. Das ist pure Provokation!
Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus berichtet von einem Anstieg antisemitischer Vorfälle. Überrascht Sie das?
Ich bin überzeugt, dass es nie aufgehört hat in Ost und West. Wir müssen uns weiter daran üben zu erkennen, dass etwas nicht einfach vorbei ist. Unsere Gesellschaft ist ein Organismus, der sich weiterentwickelt, da ist nichts einfach abgeschlossen. Wenn wir etwas erreicht haben, dann ist das nur ein Moment. In Europa dachten wir in den 90er-Jahren, der Kalte Krieg ist vorbei, wir haben genug zu essen, jetzt läuft es richtig rund. Aber es sind neue Konflikte und radikale Kräfte entstanden, die an die Macht wollen und Angst verbreiten. Wir müssen weiter daran arbeiten, tolerant und respektvoll miteinander umzugehen.
Das Programm „Ich hatte einst ein schönes Vaterland ...“ ist in Kooperation mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung am 25.10. in Görlitz (Synagoge), am 26.10. in Chemnitz (LUXOR) und am 27.10. im Theater in Crimmitschau zu erleben. Der Eintritt ist jeweils frei. Die szenische Lesung wird begleitet vom Bläserquintett OPUS 45 und der Sopranistin Maria-Isabella Jung. Zu hören gibt es u.a. jiddische Lieder, Kompositionen von Gustav Mahler und Viktor Ullmann, sowie Arien aus bekannten und heute vergessenen Operetten jüdischer Komponisten.