Wie politisch ist Gaming?
Videospiele sollen in erster Linie unterhalten - diesen Anspruch stellen sowohl Konsumierende als auch Produzierende im Gaming-Bereich. Oft wird v.a. von der Videospielindustrie die Ansicht vertreten, dass Videospiele einen reinen Unterhaltungsanspruch haben und darüber hinaus keinen anderen Zweck erfüllen oder eine andere Strahlwirkung entfalten. Das Narrativ des a-politischen Spiels ist weit verbreitet und soll im Folgenden genauer untersucht werden. Ist Gaming politisch? Und falls ja - wie politisch?
Das Politische vs. die Politik
In Diskussionen darüber, ob eine Sache nun politisch ist oder nicht, wird oft unsauber zwischen dem Politischen und der Politik unterschieden. Politisch sind all jene Handlungen, die eine bestimmte Vorstellung widerspiegeln, wie eine Gesellschaft unter welchen Moral-, Wert- und Ordnungsideen zusammenleben soll. Faktisch sind damit alle Handlungen politisch. Die Politik hingegen ist dann der Prozess oder die Institution, die versucht, die vielen politischen Handlungsideen auszuhandeln und zu vereinen. Wenn man sich also die Frage stellt, inwieweit Gaming politisch ist, kommt man recht schnell zu einer Antwort: Ja, sie sind es! Videospiele spiegeln gesellschaftliche Werte und politische Ideen wider - in manchen Spielen lässt sich das offensichtlicher feststellen als in anderen Spielen. Games greifen reale Konflikte in fiktiven Szenarien auf, thematisieren Flucht und Migration, sie stellen Gamerinnen und Gamer vor ethische Fragen und können soziale Experimentierfläche sein, in denen Gesellschaftsentwürfe und neue Formen des Zusammenlebens erprobt werden. All dies beinhaltet also Ideen über eine bestimmte Gesellschaftsform und ist somit politisch. Wenn man Videospielen eine politische Wirkung abschreibt, so negiert man damit das Medium als Kulturgut und künstlerisches Ausdrucksmittel. Und jedes Kulturgut (Film, Buch, Theater etc.) ist letztlich aufgeladen mit den politischen Überzeugungen und Motiven derjenigen, die es herstellen.
Darstellung in Spielen
Wenn man in die Videospiellandschaft blickt, so findet man zahlreiche Beispiele für Spiele, die explizite oder implizite politische Ideen widerspiegeln.
Im Spiel 'The Division 2' (2019) spielt man in einem vom Bürgerkrieg verwüsteten Washington D.C., das Spiel wurde sogar mit dem Slogan "Come see what a real government shutdown looks like" ("Schau dir an, wie eine richtige Regierungsstilllegung aussieht.") beworben - eine klare Anspielung an den damals andauernden Shutdown der US-Regierung. Der Hersteller des Spieles behauptet jedoch mehrfach, dass das Spiel keine politischen Botschaften enthalte und entschuldigten sich im Nachhinein sogar für die Bewerbung des Spieles mit der Parallele zum echten US-Shutdown.
In 'Democracy 3'(2013) spielt man den Präsidenten einer Nation und muss über Gesetzesänderungen versuchen, politische Krisen wie Massenarbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung überwinden. Als Spielmechanismus gilt im Spiel die Todesstrafe als effektives Mittel, um die Kriminalitätsrate zu senken - auch wenn dieser Zusammenhang in der Realität mehrfach widerlegt worden ist. Jedoch wird auch hier eine bestimmte Vorstellung des gesellschaftlichen Zusammenlebens des Entwicklers kommuniziert.
In 'Papers, Please' (2013) spielt man einen Grenzbeamten in einem totalitären Staat, der vor schwierige Entscheidungen gestellt wird und entscheiden muss, wer die Grenze überqueren darf.
In der Wolfenstein-Reihe wird u.a. der Holocaust thematisiert. 2019 wurde in Deutschland erstmals die internationale Version des neuen Wolfenstein-Spiel erlaubt, was ein großes Medienecho bewirkte. Bisher war nämlich in Deutschland die Darstellung von Nazi-Symbolen, wie z.B. dem Hakenkreuz, in Videospielen nicht erlaubt, da die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole in Videospielen nicht von der Sozialadäquanzklausel eingeschlossen war. 2018 änderten die Obersten Landesjugendbehörden ihre Ansicht diesbezüglich - wieder zeigt sich eine bestimmte politische Wertevorstellung in der Kunstfreiheit.
In Minecraft (2009) lässt sich weltweit die 'Uncensored Library' (Unzensierte Bibliothek) herunterladen und ins Spiel integrieren. In dieser virtuellen Bibliothek hat man von überall in der Welt Zugriff auf Texte von Internetbloggerinnen und -bloggern, die von autoritären Herrschern zensiert worden sind. Hintergrund des Projektes von Reportern ohne Grenzen ist die zunehmend von staatlicher Internet-Zensur bedrohte Pressefreiheit. Selbst dort, wo fast alle Medien von Zensur betroffen sind, ist das erfolgreichste Computerspiel der Welt weiterhin frei zugänglich. Reporter ohne Grenzen nutzt dieses Schlupfloch, um die Internet-Zensur in den betroffenen Ländern zu umgehen, und bringt die Wahrheit zurück – innerhalb von Minecraft.
Diese Reihe ließe sich noch lange fortführen. Offensichtlich ist, dass Videospiele machtvolle Werkzeuge sind, um bestimmte Vorstellungen von Zusammenleben zu vermitteln - und damit sind die fundamental politisch. Der Grad der politischen Vermittlung variiert aber stark. Während die hier genannten Spiele natürlich von besonders politischer Brisanz sind, gibt es auch viele weiter Beispiele, wo dies nicht so offenkundig sichtbar ist.
Gaming-Community und Industrie
Die Gaming-Community und -Industrie zeigen ihre politischen Aspekte in vielfacher Hinsicht.
Schon im familiären Bereich zeigt sich die politische Komponente. Wenn Jugendliche und Kinder Videospiele spielen, dann hat das Auswirkungen auf Familien - es wird viel debattiert und ausgehandelt, wer wann was wie viel und mit wem spielen darf. Es geht von Beginn an um Kernfragen der Grundrechte: Das Recht Erziehung und Bildung, Kunst- und Meinungsfreiheit.
Besonders brisant zeigte sich der Clash der faktisch politischen Gaming-Szene mit dem Willen der Videospiel-Industrie, betont apolitisch zu sein, im Oktober 2019: Der professionelle 'Hearthstone-Spieler' Ng "blitzchung" Wai Chung trat in einem offiziellen chinesischen Stream während eines Turniers mit Brille und Atemmaske auf und rief: "Befreit Hongkong, die Revolution unserer Zeit." Der Veranstalter des Turniers, Blizzard, sperrte ihn daraufhin ein Jahr lang für Turniere und erkannte ihm sein Preisgeld ab. Die Strafe wurde später zwar wieder abgeschwächt, die Aussage aber war eindeutig: Die Videospielindustrie duldet keine politische Äußerungen im Rahmen ihres Spiels.
Auch die Community der Let's Player (Let's Play bezeichnt das Vorführen und Kommentieren des Spielens eines Videospiels) versteht sich oft als apolitisch und sieht Videospiele als reine Unterhaltungsform. Gleichzeitig rufen prominente Let's Player vor Wahlen ihre Community oft aktiv zum Wählen auf oder diskutieren aktuelle politische Entwicklungen und Geschehnisse. Als im Februar und März 2019 die Diskussion zum Artikel 13 der DSGVO aufbrandete, riefen viele Let's Player zum Demonstrieren auf - und das mit teilweise einer 'virtuellen' Gefolgschaft im Millionenbereich. Auch hier zeigt sich die Gaming-Community als politisch interessiert und politisch betroffen.
Zuletzt brandete die Diskussion um Politisches und Politik in der Gaming-Community nach dem rassistischen und rechtsextremistischen Anschlag in Halle im Oktober 2019 auf. Nach der Aussage des Bundesinnenministers, Horst Seehofer, wonach die Gaming-Szene wegen rechtsextremistischer Bewegungen mehr Beobachtung bedürfte, fühlten sich viele Menschen aus der Gaming-Community zu Unrecht über einen Kamm geschert - eine homogene Gaming-Szene gebe es nicht. In der Tat wäre es falsch, der gesamten Gamer-Szene ein rechtsextremistisches Problem vorzuwerfen. Tatsächlich lässt sich jedoch beobachten, dass gewisse Subkulturen der Gaming-Community von rechtsextremistischen Gruppierungen und Personen unterwandert werden. Grund hierfür ist jedoch nicht die Gaming-Community per se, sondern vielmehr fehlende Moderations- und Kontrollregeln, die in der analogen Welt besser und schneller greifen. Auch hier lassen sich also brisante Grundrechtsfragen und politische Dimensionen erkennen.
Ausblick
Mit Hinblick auf die wachsende Zahlen der Gaming-Community und den steigenden Gewinnen der Gaming-Industrie ist abzusehen, dass sich die gesellschaftliche und damit auch die politische Bedeutung von Videospielen weiter intensivieren wird. Seit den 2000er Jahren mischen sich auch mehr und mehr Staaten in die Welt des Gaming ein. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 nutzte z.B. die US-Armee die große Bedeutung von Videospielen, um ihre Bevölkerung für die Teilnahme am Irak-Krieg zu sensibilisieren und zu begeistern. Im Spiel 'America's army' müssen die Gamerinnen und Gamer die amerikanische Flagge gegen Terroristen verteidigen. Die Nutzung dieser neuen Form der 'soft power' wurde daraufhin von anderen Staaten, wie z.B. China oder dem Libanon, nachgeahmt. Wichtige Diskussionen über demokratische Grundrechte, staatliche Einflussnahme und angemessene Darstellung und Spielemechanik sind also auch im Bereich des Gaming von größter Bedeutung.
Weiterführendes Material
Videos
Videospiele - die neuen Blockbuster
Online-Spiele und politische Bildung
Podcasts
GamesStar Podcast: Wolfenstein und die Zensur - Darf man den Holocaust ausklammern?
GamesPodcast: Hakenkreuze geht (jetzt) immer – oder?
Literatur
Deutschlandfunk-Reihe: Games und Politik
PC-Games: Wie politisch sollten Games sein?