Darf der Wolf sich in Deutschland einfach ausbreiten? Ja und nein. Um Tiere in Deutschland zu beobachten, sammelt die Fachstelle Wolf Informationen und wertet diese aus. Vanessa Ludwig arbeitet bei der Fachstelle. Ich darf sie bei einem Streifzug durch den Wald begleiten.
Die Sonne drückt sich durch den verhangenen Himmel, als Vanessa Ludwig und ich uns auf den Weg zu einem Waldstück in der Nähe von Nossen machen. „Wölfe werden wir hier keine treffen. Das hier ist kein Wolfsrevier“, teilt Ludwig gleich zu Beginn mit. Enttäuschte Gesichter bei mir und dem Fotografen. Aber was wäre, wenn?
„Angst muss man nicht haben“, erzählt Ludwig. „Aber der Wolf ist ein Wildtier. Genau wie bei Wildschweinen ist da Respekt angebracht, wenn man ein solches Tier trifft.“ Meistens wissen Wölfe das zu umgehen. Sie haben ein feines Gespür und tendieren dazu, Spaziergänger zu meiden. „Oft bekommt man gar nicht mit, wenn ein Wolf in der Nähe ist“, sagt Ludwig.
Woran erkennt man dann, dass in einem Waldgebiet Wölfe sesshaft sind? Die derzeitigen Wolfsreviere in Deutschland sind gut erfasst. Das Wolfsmonitoring, also die wissenschaftliche Datenerfassung über Wölfe, gibt Auskunft über Gebiete mit Wolfsvorkommen und die Bewegungen der einzelnen Rudel.
Für das Sammeln von diesen Infos braucht es die Bevölkerung: Wolfssichtungen sollten gemeldet werden. Das ist wichtig, denn wie Rehe und Wildschweine gewöhnen sich auch Wölfe an die Präsenz des Menschen. Werden die Tiere noch gefüttert oder zum Spielen aufgefordert, verbinden sie mit dem Menschen einen positiven Reiz und verlieren ihre Vorsicht. „Das kann gefährlich werden“, sagt Ludwig.
Den positiven Reiz bieten übrigens auch Schafe, Ziegen und Co., die der Mensch hält. Sind diese Tiere nicht ausreichend durch zum Beispiel Zäune geschützt, sind sie leichte Beute. So wurden der Fachstelle Wolf in diesem Jahr 106 Risse von Haus- und Nutztieren gemeldet, bei denen der Wolf als Verursacher festgestellt wurde.
„Für Hinweise über weniger auffällige Beobachtungen sind wir ebenfalls dankbar“, sagt Ludwig. Sie holt einen kleinen Beutel aus ihrer Tasche. Darin befindet sich echter Wolfskot. Staunend begutachte ich Isegrims Hinterlassenschaften: Fast wie ein Hundehaufen, nur sehr viel haariger. Ludwig erklärt: „Der Wolf frisst seine Beute mitsamt Fell. Das sieht man dann natürlich auch im Kot.“ Und noch etwas hat Ludwig mitgebracht: einen Gipsabdruck einer Wolfspfote. Anhand des Ansichtsexemplars erklärt sie die Gang- und Laufart des Wolfes. So lerne ich, dass sich Wölfe oft im ‚geschnürten Trab‘ voran bewegen.
Ludwig selbst hat vor einigen Jahren bei einem Praktikum Wölfe in freier Natur erlebt. Ganz geheuer war das selbst der Fachfrau damals nicht. „Man hat die grausamen Erzählungen ja doch im Kopf, wird von frühauf durch Märchen und Medien geprägt“, bedauert sie. Und da nützt alles vernünftige Denken, alle Theorie nichts. Ein ausgewachsener Wolf erreicht immerhin eine Schulterhöhe von 70 bis 90 Zentimeter. Eine beeindruckende Größe.
Und auch ich bin fasziniert, will mehr über die geheimnisvollen Tiere lernen. Ludwig empfiehlt mir die Angebote der Informationsstelle ‚Wolfsscheune‘ in Rietschen. Die Informationsstelle bietet interessante Vorträge, Spuren-Exkursionen und Führungen für Kinder an. Doch bevor ich mich dahin wage, muss ich noch eine Frage loswerden, die mir auf der Seele brennt: „Wie viele Angriffe auf Menschen haben Sie in den vergangenen Jahren zu verzeichnen?“ Vanessa Ludwig scheint auf die Frage gewartet zu haben. „Keine“, antwortet sie.