Tom freut sich: Sein Fußballverein hat endlich einen neuen Fußballplatz bekommen. Bei der Platz-Eröffnung war auch Politiker Herr Bayer vor Ort und hat eine Rede gehalten. Toms Kumpel Jo hat das sehr verärgert. In seinen Augen hat Herr Bayer nicht viel dafür getan, dass der Club nun einen neuen Rasen hat. Und auch Tom stellt sich die Frage: Was machen Politiker wie Herr Bayer eigentlich den ganzen Tag?

Prof. Werner J. Patzelt ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Der Politikexperte weiß, was welche Eigenschaften man mitbringen muss, um Politiker zu werden und wie da der Umgang mit der Wahrheit ist. 

Wie wird man Politiker?

Man muss das wollen! Doch wenn man heutzutage zu einer Partei geht und jung ist, dann bleibt einem eine politische Laufbahn in der Regel nicht verwehrt. Aber man muss Politik auch können, und das heißt: Geduld haben, überzeugen, Mehrheiten organisieren können. Ohne Mehrheiten wird man nämlich nicht aufgestellt und setzt auch nichts durch. Das Dritte ist das Aushalten. Denn Politik besteht im Wesentlichen aus zeitaufwendigem Reden und Bereden, und obendrein gehört zur Politik, wenn man eine bestimmte Sichtbarkeit errungen hat, dass man angegriffen wird.

Gibt es wirklich eine Chance für jeden, Politiker zu werden? Oder werden die Posten nicht untereinander verteilt?

Jeder, der in die Politik geht, ist erst einmal ein klitzekleines Rad. Dieses klitzekleine Rad kann eigentlich jeder werden. Er soll dann aber nicht glauben, dass sich plötzlich die ganze Welt um dieses kleine Rad drehen wird. Man muss also bereit sein, erst einmal kleine Parteifunktionen zu übernehmen, in einen Gemeinde- oder Stadtrat zu gehen. Und man muss akzeptieren, dass das für die meisten die Grenze ist, was sie politisch bewerkstelligen können. Denn wer Abgeordneter, Ministerpräsident, Bundeskanzler werden will, der muss viele Jahre seines Lebens in dieses Ziel investieren und auf vieles Andere verzichten.

Wie kommt man am besten an einen Politikerjob?

Einfach einer politischen Partei beitreten! Ausschlaggebend für eine schnelle Karriere ist sodann: jung sein, eine Frau sein, in einer größeren Stadt leben – idealerweise in einer Landeshauptstadt mit Parlament. Wer sich also als junge Frau in der Basisorganisation einer Partei in einer Stadt engagiert, halbwegs klug und fleißig ist, der kann damit rechnen, dass er innerhalb von sechs oder sieben Jahren im Landtag sitzt.

Welche Charaktereigenschaften muss man mitbringen?

Vor allem Geduld. Auch muss man Menschen mögen, sonst kann man in einer Demokratie nicht Politik machen. Es braucht außerdem Loyalität und Treue, denn sonst wird man schnell von anderen fallen gelassen.

Dürfen Politiker in Deutschland eine eigene Meinung haben? 

Ja, dafür werden sie ja bezahlt! Auch fällt man ohne eigene Meinung nicht auf, und wer nicht aufhält, der wird auch nicht nominiert. Entscheidend ist dabei allerdings, auf welcher Ebene man als Politiker tätig ist, und welche Auswirkungen die Bekundung der eigenen Meinung hat. Wenn Sie im Stadtrat sitzen, können Sie gerne Ihre Meinung über die deutsche Russlandpolitik in die Öffentlichkeit posaunen; die ist dann aber ganz unerheblich für die Stadtratsarbeit. Wenn Sie hingegen Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags sind, sollen Sie zwar ebenfalls eine klare Meinung deutschen Russlandpolitik haben; doch diese in die Öffentlichkeit zu tragen, hat dann ziemlich andere Folgen. Sie erkennen also das Wesentliche: In der Politik muss man bedenken, dass welche eigenen Handlungen in welcher Weise folgenreich sein können – und man muss sein Handeln von den zu erwartenden Folgen her ausgestalten.

Lügen Politiker oft? Geht das zum Job?

Nirgendwo haben Lügen kürzere Beine als in der Politik! Zwar ist es eine beliebte Formel, dass Politiker dauernd lügen. Doch wer an einer Stelle lügt, muss auch viele Anschlusslügen verwenden – und das hält auf Dauer keiner aus, ohne sich in Widersprüchen zu verheddern. Wichtig in der Politik ist aber, dass andere Leute einem vertrauen. Also ist in der Politik der Druck, nicht zu lügen, wesentlich höher als im normalen Alltagsleben.

Allerdings wird mit Lügen oft etwas ganz Anderes gleichgesetzt. Politiker müssen nämlich bedenken, dass ihre Aussagen Auswirkungen haben können. Man stelle sich vor: Unser Bundesfinanzminister sagt, er sei der Ansicht, dass in wenigen Tagen unser Finanzsystem zusammenbrechen könnte. Dann hat er zwar vielleicht die Wahrheit gesagt, aber fatale Folgen angerichtet, denn die Konsequenz wird unweigerlich eine Finanzkrise sein. Reden von Politikern können nämlich Tatsachen erzeugen – und das ist es, was man begreifen muss. Wenn ein Politiker also ein Ziel verfolgt, dann muss er dieses Ziel und seine Handlungsumstände so der Öffentlichkeit darstellen, dass keine Tatsachen geschaffen werden, die der Erreichung des Ziels im Wege stehen. Das ist sehr wohl ein „taktischer Umgang“ mit der Wahrheit. Doch das ist etwas ganz Anderes, als einfach zu lügen.

Was machen Politiker so den ganzen Tag?

Viele Sitzungen. Unglaublich viele Auftritte vor ziemlich wenigen Leuten. Unglaublich viel Wiederholung von nichtspektakulären Dingen. Und Umgang mit unglaublich vielen Hoffnungen von Leuten, die auf einen zukommen, von denen man aber nur den geringsten Teil erfüllen kann.

Brauche ich bestimmte Berufserfahrungen als Politiker?

Den Politikerberuf erlernt man durch Tun, nicht durch Zuschauen. Ansonsten ist es für Politiker hilfreich, wenn sie von der Juristerei was verstehen. Und es kann überhaupt nicht schaden, wenn ein Politiker Lebenserfahrung hat.

Warum sind so viele Männer Politiker?

Aus Tradition! Es war lange Zeit einfach unvorstellbar, dass Frauen ein politisches Wahlamt anstreben und ausüben können. Gottlob hat sich das geändert und haben wir heute Ministerpräsidentinnen oder eine Bundeskanzlerin.

Außerdem haben Frauen – vor allem solche mit Kindern – in der Regel mit starken Mehrfachbelastungen auszukommen. Das hält viele Frauen davon ab, sich politisch zu beteiligen, obwohl sie heute bessere Chancen haben denn je. Im Übrigen gibt es Vermutungen dahingehend, dass typisch männliche Muster mit Konflikten umzugehen, also sie als Rangkämpfe auszugestalten, wirkungsvoller wären als weibliche Konfliktweisen, die auf Kommunikation setzen. Das alles ist aber ziemlich umstritten.

Immer mehr Politiker sind Berufspolitiker. Deshalb wird ihnen Realitätsferne vorgeworfen. Stimmt das? 

Dass wir mehr Berufspolitiker haben denn je haben, ist eine Tatsache. Man kann ja vom selbstgewählten Beruf des Politikers erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt leben. Davor gab es keine Diäten – sondern man musste Privatbesitz oder einen anderen, auskömmlichen Beruf haben, um politisch tätig sein zu können. Außerdem hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass das Abgeordnetenamt als Vollzeitberuf auszuüben sei, weil es nicht genüge, nachmittags mal ins Parlament zu gehen, sondern man auch noch für die Wähler dazusein habe und deshalb im Wahlkreis herumreisen müsse. Das aber frisst außerhalb dicht besiedelter Gebiete viel Zeit und lässt sich nicht neben einem anderen Beruf als dem des Politikers machen.

Wie wichtig ist es, dass man Politik studiert, um in die Politik gehen zu können?

Wenn einer, der Zahnarzt werden will, Medizin studiert, wird das keiner für falsch halten. Also ist es schon merkwürdig, wenn man ein Studium der Politikwissenschaft für wenig hilfreich hält, falls jemand Politiker werden will. Im Grund gibt es neben Lebenserfahrung keine bessere Vorbereitung auf den Beruf des Politikers als ein solides politikwissenschaftliches Studium oder, zumindest, ein juristisches Studium.

Können Politiker den Beruf wechseln? 

Der ideale Zustand wäre: Man kommt mit so 50 oder 55 Jahren ins Parlament, macht dann zwei bis drei Wahlperioden und kann anschließend in den Ruhestand gehen. Doch seit wir möglichst viele junge Leute in die Politik haben wollen, setzen wir diese unter Druck, schon seit ihren frühen Jahren von der Politik leben zu sollen. Das macht sie viel weniger unabhängig, als es solche Leute sind, die von einer gesicherten beruflichen Basis aus in die Politik gehen. Glücklich sind da Leute wie Lehrer, die jederzeit in ihren Beruf zurückkehren können. Bei anderen gibt es keine realistischen Rückkehrmöglichkeiten, etwa bei kleinen Angestellten, die das Abgeordnetenmandat weit über ihren früheren Status hinausgetragen hat, oder bei mittelständischen Unternehmern, die ihre Firma von anderen haben führen lassen. Für solche Leute muss man sich dann um politisch zu vergebende Anschlusspositionen bemühen. Solche gibt es aber viele – etwa in den Aufsichtsräten öffentlich besessener Unternehmen oder in den Strukturen parteinaher Stiftungen.

Aber ist so eine „Anschlussposition“ nicht problematisch?

Wenn der ehemalige Politiker führen oder verwalten kann, ist das nicht problematisch. Man lernt ja in der Politik eine ganze Menge. Aus guten Gründen gibt es also manche Spitzenpolitiker, die später ins Wirtschaftsmanagement gegangen sind, weil viele in der Politik erlernten Kompetenzen auch in der Wirtschaft wertvoll sind.

Verdienen Politiker zu viel Geld?

Das hängt von der Führungsebene ab. Verglichen mit Spitzenmanagern in der freien Wirtschaft wird unsere Bundeskanzlerin sehr schlecht bezahlt. Es wird auch ein Landesminister, verglichen mit Sparkassendirektoren, schlecht bezahlt. Doch wenn ein junger Mensch im zarten Alter von 26 in den Landtag einrückt und Gehalt in der Höhe des Direktors eines Gymnasiums bezieht, dann fragt man sich schon: Ist das richtig? Der eine war lange Zeit Lehrer, bis er zum Schulleiter aufstieg – und der andere hat sich nur solange in der Jugendorganisation seiner Partei engagiert, bis er in den Landtag gerutscht ist… Über das alles kann und muss man streiten.

Die Bezahlung hängt vom Amt ab. Außerdem ist entscheidend, ob sie ehrenamtlich oder hauptberuflich als Politiker arbeiten. Ebenfalls wichtig: die Größe der Stadt oder Gemeinde.

Wer bekommt wie viel? 

Gemeinde- und Stadträte sind ehrenamtlich tätig. Sie bekommen nur eine monatliche Entschädigung sowie Sitzungsgeld, wenn sie an Sitzungen teilnehmen.

Beispiel: 200 Euro monatlich bekommt ein Stadtrat in Chemnitz.

Bürgermeister von Städten bekommen genauso wie Landräte ein Gehalt für ihre Arbeit. Die Höhe hängt von der Verantwortung ab.

Beispiele:

8.638,38 Euro brutto monatlich Bürgermeister einer sächsischen Stadt mit 40.000 bis 60.000 Einwohnern

9.594,07 Euro brutto monatlich Landrat in einem sächsischen Landkreis mit mehr als 200.000 Einwohnern

Bundes- und Landtagsabgeordnete erhalten Diäten und kein Gehalt, wie es oft fälschlicherweise bezeichnet wird. Denn Abgeordneter ist kein Beruf, sondern ein politisches Amt. Dafür erhalten sie eine sogenannte Abgeordnetenentschädigung. Deswegen ist es nicht ungewöhnlich, dass Politiker auch Nebeneinkünfte haben.

Beispiele:

5.487,09 Euro brutto monatlich Landtagsabgeordnete in Sachsen

9.327,21 Euro brutto monatlich Bundestagsabgeordnete

Zusätzlich gibt es eine steuerfreie Kostenpauschale (in Sachsen bis zu 4.111,30 Euro im Monat). Davon werden Mieten, Büromaterial, Veranstaltungen und Reisekosten gezahlt.

Warum so viel Geld? 

Abgeordnete sollen frei entscheiden und nicht für Korruption anfällig sein.

Warum gibt es Kritik? 

Abgeordnete entscheiden selbst über ihre Diäten. Deshalb kommt etwa bei Erhöhungen oft der Vorwurf der „Selbstbedienung“ auf. Denn Diäten werden aus Steuergeldern bezahlt. Außerdem sollten Politiker ihre Nebeneinkünfte öffentlich machen.

In den Medien sieht es so aus, als seien Politiker unangreifbar: geschützt in teuren Autos, abgeschirmt durch Sicherheitspersonal. Tatsächlich sind solche Maßnahmen nötig – vor allem dann, wenn der Politiker ein hohes Amt bekleidet. Denn einzelne Bürger sind so wütend über politische Entscheidungen, dass sie ihre Vertreter attackieren. Diese Angriffe lassen nicht nur jeden Respekt vermissen, sie sind oftmals sogar strafbar. Drei Beispiele:

Widerliche Worte. Wer als Politiker seine Ansichten öffentlich verbreitet, muss mit Beschimpfungen rechnen. Die gab es auch früher schon. Doch per Facebook, Twitter und Co. werden Politiker heute öfter und schneller mit Kritik konfrontiert. Und manchmal fällt die dann so hart aus, dass Beleidigungen folgen – teils mit übelsten Worten.

Beschädigte Büros. Manchmal attackieren Gewalttäter einen politischen Arbeitsort, der für alle sichtbar ist: das Abgeordnetenbüro. Sie werfen Farbbeutel gegen die Wand oder schmeißen Scheiben ein – ein klarer Fall von Sachbeschädigung.

Bedrohtes Privatleben. Es kommt vor, dass Gegner einen Politiker einschüchtern wollen und ihn deshalb in seiner Freizeit belästigen. Es gab zum Beispiel schon Demos vor dem Privathaus eines Bürgermeisters. In anderen Fällen traf es sogar die Familie eines Politikers, etwa wenn dessen Frau am Telefon bedroht wurde.