Maschine oder Liste?
Maschinengestützte Wahlen bieten sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein großer Vorteil besteht in der Effizienz und Geschwindigkeit der Auszählung. Elektronische Wahlmaschinen können Ergebnisse schnell liefern, was insbesondere bei großen Wahlen mit vielen Wahlbezirken von Vorteil ist. Darüber hinaus können sie (zumindest theoretisch) die Genauigkeit der Auszählung erhöhen, indem menschliche Fehler bei der Stimmenzählung minimiert werden. Wahlmaschinen mit denen man auch elektronisch abstimmen kann können für Wählerinnen und Wähler mit Behinderungen Wahlen auch leichter zugänglich machen und so die Wahlbeteiligung fördern. Auf der anderen Seite stehen jedoch bedeutende Nachteile. Ein zentrales Problem ist die Anfälligkeit für technische Fehler und Cyberangriffe.
Als sich George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000 ein denkwürdiges Kopf-an-Kopf-Rennen um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten lieferten, sah es zunächst sehr ausgeglichen aus. Nach dem Winner-Takes-All-Prinzip hatten die beiden Kandidaten alle Bundesstaaten gleichmäßig unter sich aufgeteilt, so dass es am Ende auf das Ergebnis im Bundesstaat Florida ankam. Hier kam es im Verlauf der Auszählung zu einem skurrilen Fehler. Während Al Gore mit einigen zehntausend Stimmen vor Bush lag, wurden die Stimmen des Wahlbezirks Volusia mit knapp 600 Wahlberechtigten, in dem mit Wahlmaschinen gewählt wurde, eingepflegt. Ergebnis: 412 Wählerinnen und Wähler hatten ihr Kreuz gemacht, davon 2813 für Bush und minus 16022 Stimmen “für” Al Gore. Noch in der Wahlnacht wurde der Fehler bemerkt, rückgängig gemacht und mit den echten Zahlen (die zur Sicherheit auch physisch vorlagen) korrigiert. Obwohl also nachgewiesen werden konnte, dass keine der beiden großen Parteien Einfluss genommen hatte und es sich um einen rein technischen Fehler handelte, hält sich bis heute in Teilen der amerikanischen Gesellschaft das Bild, dass diese für die USA zentrale Wahl manipuliert wurde. Wie das Beispiel aus Florida zeigt, können Fehler in den Maschinen oder ihrer Software zu falschen Ergebnissen führen und das Vertrauen der Bevölkerung in den Wahlprozess beschädigen.
Wahlgeräte, die die Stimmauszählung vor Ort unterstützen, hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland 2009 für verfassungswidrig erklärt. Der physische Beweis der Stimmabgabe in Form von Lochkarten oder Zetteln wäre hier noch vorhanden.
Denkbar ist aber natürlich auch eine rein digitale Wahl, die komplett vom heimischen Computer oder mobil per Smartphone durchgeführt wird. Das Problem: dabei könnten Stimmen jedoch auch ohne böse Absicht, z.B. durch Verbindungsprobleme, verloren gehen. Zudem wäre der Weg, den die eigene Stimme nimmt, für Wählerinnen und Wähler ab dem Zeitpunkt der Stimmabgabe gänzlich intransparent. Das Vertrauen in die technische und rechtliche Integrität einer solchen “Black Box” ist auch ohne grundsätzliche Skepsis am Wahlvorgang deutlich erschwert. Zudem sind die hohen Kosten für Anschaffung, Wartung und regelmäßige Updates der Systeme ein bedeutender Nachteil.
Allgemein: Alle Bürgerinnen und Bürger sind zur Wahl zugelassen, sofern ihnen das Wahlrecht nicht entzogen wurde. Berufsstand, Steuerlast oder andere Eigenschaften spielen keine Rolle.
Unmittelbar: Abgeordnete werden direkt gewählt. Die abgegebenen Stimmen werden also direkt in Sitze für den gewählten Kandidaten oder die gewählte Liste umgerechnet, es gibt keine zwischengeschalteten Wahlmänner oder Wahlkollegien, welche die abgegebene Stimme nur als Auftrag in ihre eigene Wahlentscheidung einbringen.
Frei: Bürgerinnen und Bürger dürfen in ihrer Entscheidung nicht dadurch beeinflusst werden, dass ihnen aus ihrer Wahlentscheidung Vor- oder Nachteile entstehen. Bereits der Versuch, Vorteile für eine Wahlentscheidung zu gewähren oder einzufordern, oder eine Wahlentscheidung per Nötigung zu erreichen, ist strafbar (§ 108 StGB).
Geheim: Der Wahlakt passiert im Geheimen, gerade auch um die Freiheit der Wahl zu gewährleisten. Eine nachträgliche Zurechnung zu Personen ist nicht möglich, ebenso ist das Fotografieren der Wahlzettel in der Kabine nicht erlaubt. Bei Briefwahl ist auf das Prinzip der geheimen Wahl besonders zu achten.
Gleich: Die Stimmen aller Wählerinnen und Wähler sind gleich viel Wert. Niemandes Stimme wird höher gewichtet. Es findet keine Unterscheidung in Berufsstand, Steuerlast oder andere Eigenschaften statt.
Offene und geheime Wahl
Aber wozu der ganze Aufwand? Die längste Zeit stimmten Menschen per Handzeichen ab, sei es zu Sachfragen oder bei Personenwahlen. Dieses Verfahren ist schnell, effektiv und transparent und kann von allen Seiten direkt überprüft werden. Das Problem aus heutiger Sicht: Die Abstimmung ist nicht geheim. Selbst die athenische Demokratie kannte die geheime Abstimmung in der besonders heiklen Frage des Scherbengerichts. (Vgl. Abbildung rechts) In diesem wurden regelmäßig Adlige verbannt, die zu mächtig geworden waren und mit ihrem Einfluss die Demokratie bedrohten. Die Bürger der Stadt ritzten den Namen der zu verbannenden Familie in eine Tonscherbe, die dann in Urnen gesammelt und ausgezählt wurden. Eine offene Abstimmung hätte eine Drohkulisse geschaffen, der nur wenige widerstanden hätten.
Ein zentrales Argument für geheime Wahlen ist also der Schutz der Wählerinnen und Wähler vor Repression und Einflussnahme. Ohne Geheimhaltung könnte das Stimmverhalten eines Einzelnen leicht nachvollzogen und möglicherweise sanktioniert werden. Doch haben geheime Wahlen auch Nachteile. Viele Vordenker der Demokratie und Volkssouveränität von Jean-Jaques Rousseau, über James Mill bis hin zu Aristoteles argumentierten, dass der eigentliche Zweck einer Wahl darin bestehe, die für das Gemeinwohl bestmögliche Entscheidung herbeizuführen. Dieser Zweck könne aber nur erreicht werden, wenn die Stimmabgabe zu offenen Diskussionen über das Für und Wider von Positionen und Kandidatinnen und Kandidaten führe. Auch kann man argumentieren, dass die Geheimhaltung zu einer geringeren Verantwortung der Wählerinnen und Wähler führen kann, da sie ihre Entscheidungen nicht öffentlich rechtfertigen müssen.
In einer Massendemokratie, in der Millionen von Wählerinnen und Wählern ihre Stimme abgeben, kann in der Regel aber weder die Zeit noch der Rahmen zur Verfügung gestellt werden, um solche Diskussionen zu ermöglichen, schon gar nicht von den Wählerinnen und Wählern selbst. Denn selbst traditionelle geheime Wahlen mit Zettel und Stift sind mit einem enormen Planungs- und Durchführungsaufwand verbunden. Dass dieser Aufwand der Relevanz von Wahlen angemessen ist, bestreiten freilich die Wenigsten.
Aber wie genau läuft eine Wahl in Deutschland heute ab?
Von der Wahlleitung in das Hauptstadtstudio - wie laufen Wahlen in Deutschland ab?
Das wichtigste Amt in diesem Zusammenhang ist die Wahlleitung. Der Bundeswahlleiter, der von der Bundesministerin des Innern ernannt wird, veröffentlicht vor der Wahl zunächst die Rechtsgrundlagen, auf deren Basis die Wahl durchgeführt wird. Anschließend registriert er Parteien und Listen und bereitet den Wahltag selbst vor, an dem in den einzelnen Wahllokalen Stimmzettel und Wahlurnen zur Verfügung stehen müssen, ebenso wie Listen, in denen die dort wahlberechtigten Personen erfasst sind, um falsche und doppelte Abstimmungen zu vermeiden.
Die Wahllokale werden von Wahlvorständen geleitet. Diese gewährleisten zusammen mit Wahlhelferinnen und Wahlhelfern den Ablauf der Wahl und kontrollieren sich gegenseitig. Die Wahlvorstände bringen Erfahrung als Wahlheferinnen und Wahlhelfer mit und werden von den Gemeinden ernannt. Als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer können sich alle Bürgerinnen und Bürger melden. Wenn sich nicht genügend ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer finden, können Kommunen auch Beamte und Mitarbeitende der Gemeindeverwaltung abstellen. Nur wer selbst kandidiert, ist ausgeschlossen. Wenn die Wahl beendet ist und die verschlossenen Wahlurnen geöffnet werden (bei Wahlen in Deutschland in der Regel um 18 Uhr), kann jedermann die Auszählung der Stimmen beobachten und den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern dabei zuschauen, wie alle Stimmen gezählt, verlesen und in Listen eintragen werden. Beobachtende müssen sich nicht registrieren und können spontan vor Ort erscheinen - Sie dürfen nur des Raumes verwiesen werden, wenn sie den Ablauf bewusst stören oder in so großen Mengen erscheinen, dass ein ordnungsgemäßer Ablauf der Auszählung nicht mehr gewährleistet ist. Filmen und Fotografieren ist zum Schutz des Wahlgeheimnisses grundsätzlich verboten.
Die Wahlvorstände melden die so ermittelten Zahlen an die nächsthöhere Wahlleitung, die sie wiederum nach oben weiterleitet (Gemeinde – Kreis – Land – Bund – Europa, je nach Wahl). Auf jeder Stufe werden die Zahlen noch einmal auf Plausibilität geprüft (um Pannen wie den Volusia Error zu verhindern). Wenn alle Zahlen bei der obersten Wahlbehörde eingegangen sind und keine Unregelmäßigkeiten gemeldet wurden, verkündet der Wahlleiter das amtliche Endergebnis. Die Stimmzettel werden versiegelt und aufbewahrt, wobei sie erst kurz vor der nächsten Wahlperiode vernichtet werden. Damit soll sichergestellt werden, dass bei im Falle von Zweifeln oder Beschwerden die Stimmzettel neu ausgezählt werden können. Bis zum Ende der Abstimmungszeit, in Deutschland also in der Regel 18 Uhr, dürfen noch keine Nachwahlbefragungen veröffentlicht werden, um diejenigen nicht zu beeinflussen, die noch nicht gewählt haben. Diese Befragungen werden von Meinungsforschungsinstituten am Wahltag vor den Wahllokalen als Straßenumfragen durchgeführt. Die Wählerinnen und Wähler werden repräsentativ befragt, und die Institute schätzen das Endergebnis. Diese Zahlen dürfen ab18 Uhr veröffentlicht werden und werden im Verlauf des Abends durch immer genauere Hochrechnungen ersetzt, in denen Zwischenergebnisse der Auszählung mit den ursprünglichen Prognosen gemischt werden.
Demokratisches Ritual und Bündelung der Aufmerksamkeit
Dieser Aufwand schafft nicht nur Transparenz, er macht die Wahl auch zu einem Großereignis. Und bei aller Kritik, der sich die liberale, repräsentative Demokratie heute ausgesetzt sieht, ist es legitim, den Wahlakt als zentrale Übergabe der Macht von der Bevölkerung an die Abgeordneten auch als großes, gemeinsames Ritual zu feiern. Über diesen symbolischen Wert hinaus ist es außerdem auch aus praktischen Gründen sinnvoll, die Aufmerksamkeit so zu bündeln, dass andere Nachrichten und Diskussionen für eine kurze Zeit gemeinsam unterbrochen werden und andere Ereignisse für einige Tage in den Hintergrund treten.
Letztlich schafft die gemeinsame Durchführung der Wahl, von der Vorbereitung bis zur Kontrolle das notwendige Vertrauen in die Funktionsfähigkeit von Staat und Demokratie. Dieses Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in das Verfahren ist zentral und im Zweifelsfall auch die oberste Priorität bei der Entscheidung ob und wie es optimiert werden kann.
Cyberkriminalität mit großem Schadenspotenzial
Darüber hinaus gibt es im digitalen Raum Cyberkriminalität, die bereits jetzt großen Schaden anrichtet. Insbesondere beim sogenannten “Phishing” geben sich Betrügerinnen und Betrüger zum Teil täuschend echt für Institutionen wie Banken aus, um Kundendaten und Kontobewegungen zu manipulieren. Das Abfangen von Stimmen und damit das Ausspähen der politischen Einstellung von Menschen oder gar die Veränderung der abgegebenen Stimme müsste mit verhältnismäßigem großem Aufwand bekämpft werden und könnte nie ganz verhindert werden.
Im schlimmsten Fall verschaffen sich Kriminelle direkten Zugriff auf gesammelte Stimmen, um sie massenhaft nach Belieben zu verändern. Da digitale Stimmen zunächst nur als elektronische Daten vorliegen und nicht als physische, millionenfach ausgedruckte Stimmzettel, wäre dies bei einer entsprechenden Sicherheitslücke viel leichter möglich als bei einer analogen Wahl. Natürlich könnten im Vorfeld Maßnahmen dagegen ergriffen werden, aber zum einen wären diese nie endgültig sicher, zum anderen wären sie mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden.
Aus diesen Gründen raten auch IT-Expertinnen und -Experten aus Bundestag, Zivilgesellschaft und Sicherheitswirtschaft dringend davon ab, Wahlen von großer Bedeutung mit elektronischer Stimmabgabe durchzuführen.
Für kleinere Wahlen, die informell abgehalten werden, können digitale Abstimmungstools ein Instrument darstellen, um Potenziale und Grenzen von E-Voting-Technologien zu testen. Für alle Wahlen mit Verfassungsrang herrscht in Deutschland heute jedoch weitestgehend Konsens, dass das gegenseitige Vertrauen, das die Grundlage unseres Staates bildet, nicht aus pragmatischen Erwägungen aufs Spiel gesetzt werden darf.