Perspektiven nach der Europawahl: Trinationale Vernetzungstagung in Dresden. (Teil 1/2)

Bei der zweitägigen Konferenz zum Thema „Europapolitische Bildung nach der Europawahl im trinationalen Vergleich“ trafen sich rund 100 Teilnehmende in Dresden zum Austausch, Netzwerken und Weiterbilden. Bereits im Sommer 2023 kamen Europaakteure aus Sachsen, Tschechien und Polen zusammen, dieses Jahr fand die Konferenz zum zweiten Mal statt. Veranstalter waren die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, die Europäische Akademie Otzenhausen und das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG).

Angst um Europa?

Der Ausgang der Europawahlen 2024 war für die Teilnehmenden der drei Länder das Thema im Mittelpunkt der Konferenz. Positiv überrascht von den Ergebnissen war kaum jemand, das zeigte eine kurze Umfrage am Abend des ersten Konferenztags. 

Das Programm am 28. November, dem ersten Konferenztag, teilte sich in den Austausch der sächsischen Europaakteure am Vormittag, nachmittags startete dann die trinationale Vernetzungstagung von Trägern europapolitischer Bildung aus Sachsen, Tschechien und Polen.

Perspektiven europapolitischer Bildung in Sachsen

Beim EU-Netzwerktreffen Sachsen diskutierten zahlreiche Europaakteure aus der Staats- und Stadtverwaltungen sowie der Zivilgesellschaft die Umsetzungsmöglichkeiten des Gesamtkonzepts Europabildung im Freistaat Sachsen. Nach der Mittagspause gab es zwei Workshop-Angebote: „Kulturhauptstadt Chemnitz 2025“ und „Potenziale und Herausforderungen für die europapolitische Bildung im Freistaat Sachsen“ mit Blick auf Stellen, Finanzen und Institutionen, in dem auch die Idee einer Europäischen Akademie in Sachsen diskutiert wurde.

Begeisterung für die Idee der Europäischen Akademie war bei vielen Akteuren geweckt und dennoch blieben noch einige Fragen offen: Wie kann ein Vernetzungsort auch abseits der Metropolen Dresden und Leipzig Mehrwert schaffen? Wie kann eine solche Akademie über reine Wissensgenerierung hinausgehen? Und kann mit der Akademie ein interaktiv-kreativer Zugang zu Europabildung geschaffen werden?

Trinationale Begegnung

Am Nachmittag trudelten die aus Polen und Tschechien angereisten Teilnehmenden ein und wurden direkt nach dem Tagungsauftakt zur interaktiven Kennenlern-Börse eingeladen. Dabei notierten die Teilnehmenden ihre „Angebote“ und ihre „Nachfrage“ auf einem Formular, das dann für die Zeit der Konferenz an eine Pinnwand im Konferenzsaal geheftet wurde. Das heißt: Was kann ich als Akteur anbieten? Wo habe ich Expertise? Was suche ich? Über die Dauer der insgesamt zweitägigen Konferenz konnte auf dieser Basis dann ein ständiger Erfahrungsaustausch entstehen.

Nach einem – insbesondere für Sachsen und weitere ostdeutsche Bundesländer – wahlintensiven Jahr 2024, waren die neuen politischen Verhältnisse im Europäischen Parlament und deren Auswirkungen an die Arbeit der Europabildnerinnen und –bildner waren eines der wichtigsten Themen. Das spiegelte sich sowohl im Programm als auch in den spontanen Äußerungen einzelner Teilnehmer und Teilnehmerinnen wider. 

Wie umgehen mit rechtsextremen Kräften in Europa?

Die Gefahr, die von populistischen rechtsextremen Kräften ausgeht, ist ein Thema, das die Akteure aus allen drei Ländern beschäftigt. Während die AfD in Deutschland und auch im europäischen Ausland in aller Munde ist, sind die Mehrheitsverhältnisse in Polen und Tschechien aus deutscher Sicht meist weniger bekannt. Martin Kratochvíl vom tschechischen Meinungsforschungsinstitut STEM gab am frühen Abend eine tour de force durch allerlei Statistiken zu den Ergebnissen der letzten Europawahl. Er verglich dabei insbesondere die Entwicklungen von 2014 bis 2024, also die Veränderungen zwischen den letzten drei Europawahlen. „Wir sehen keinen plötzlichen Umschwung“, betonte er dabei mehrmals. Viel eher sei das Erstarken rechter Parteien wie der AfD eine längerfristige Entwicklung.  

In Tschechien hat die häufig als populistisch charakterisierte Partei ANO 2011 des ehemaligen Ministerpräsidenten Andrej Babiš bei der Europawahl die meisten Stimmen geholt und gehört nun, gemeinsam mit dem Rassemblement National und Vox aus Spanien, der Fraktion „Patrioten für Europa“ an. Die tschechische rechtsextreme Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ schickt fortan einen Abgeordneten ins Parlament nach Brüssel. Besorgniserregend sind auch die Wahlergebnisse einer rechts-populistischen Partei mit rechtsextremen Zügen „Die Motoristen“ (2 Mandate, Fraktion Patrioten für Europa) und der Kommunisten (2 Mandate, fraktionslos).

Analysen aus Tschechien und Polen

In Polen war der hohe Stimmenanteil junger Wähler für die rechte Sammelpartei Konfederacja bemerkenswert. Das starke Abschneiden der Konfederacja hat auch Iga Kamocka, die stellvertretende Direktorin der polnischen Robert Schuman Stiftung überraschte, die am Donnerstagabend auf dem Panel zur Auswertung der Ergebnisse der Europawahl mitdiskutierte. „Nach den Umfragen aus dem Frühjahr sah es nicht nach einem dritten Platz für die Konfederacja aus“, bemerkte Kamocka. Sie wies aber auch auf eine Entwicklung hin, die einige rechtspopulistische Parteien durchlaufen hätten. „Die Konfederacja war früher sehr anti-europäisch und diesmal waren sie diesbezüglich deutlich leiser“. Kamocka verweist als Parallele auch auf die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die jetzt „nicht mehr rechts“ sein wolle, sondern auf der Suche nach Bündnispartnern sei.

Eins der Spannungsfelder, das sich im Gespräch zwischen den Akteuren der politischen Bildung offenbarte, war das Thema Wahlbeteiligung. Diese ist, in den drei Ländern, bei Europawahlen traditionell geringer als bei nationalen Wahlen. Prof Dr. Monika Oberle von der Goethe-Universität Frankfurt am Main charakterisierte Europawahlen auch als „nationale Nebenwahlen“. Es brauche politische Bildung, um darüber zu informieren, wie das Parlament an der Gesetzgebung beteiligt sei und wie sich diese Entscheidungen im alltäglichen Leben widerspiegeln, forderte Prof. Oberle. Gleichzeitig scheinen rechtspopulistische Kräfte es am ehesten zu schaffen, Nichtwählende zu motivieren. „Die weniger Zufriedenen haben sich mehr beteiligt“, konstatierte auch Meinungsforscher Martin Kratochvíl.

Europapolitische Bildung ab dem Grundschulalter

Doch wie kann politische Bildung dem begegnen? Was gibt es für Lösungsansätze? Die Europabildung dürfe sich nicht auf den schulischen Rahmen beschränken, merkte eine Teilnehmerin an. Es gehe schließlich nicht nur um junge Leute. Prof. Oberle und Martin Kratochvíl wiesen beide darauf hin, dass die EU erlebbar und realitätsnah vermittelt werden müsse, mit Verweis auf EU-Entscheidungen über bspw. Roaminggebühren oder Lebensmittelkennzeichnungen, die alle im Alltag betreffen. Iga Kamocka von der Robert Schuman Stiftung betonte: „Nicht nur die Wissensvermittlung ist wichtig, sondern auch die von Kompetenzen“. So etwas wie die Kompromisssuche müsse praktisch vermittelt werden. Prof. Oberle zeigte sich begeistert über EU-Planspiele, die an einigen Stellen bereits im Grundschulalter durchgeführt werden. Dabei werden Entscheidungsprozesse der EU in Ausschussverhandlungen und Parlamentsdebatten simuliert. „Da müssen wir dann überlegen, wie wir mit der Repräsentation rechter Kräfte umgehen“, mahnte Prof. Oberle.

Parteienverbote: ja oder nein?

Dass politische Bildung grundsätzlich essentiell bleibt, darüber waren sich die Teilnehmenden einig. Ob ein Parteienverbot ein probates Mittel sei, um rechten Parteien zu begegnen, spaltete die Podiumsteilnehmer. „Die Geschichte hat uns gelehrt, dass es auch notwendig sein kann, Parteien zu verbieten“, argumentierte Kratochvíl. Auch Prof. Oberle zeigte sich offen gegenüber einem Verbotsverfahren gegen Parteien wie die AfD. Doch Iga Kamocka war skeptischer und meinte: „Ein Parteienverbot wird das Problem sprengen.“ Sie sieht eher, dass dies zu noch mehr Zustimmung für diese Parteien führen würde.

Die Auseinandersetzung mit anti-europäischen und rechtsextremen Positionen zeigt sich nicht nur auf der politischen Ebene, sondern ist für manche Teilnehmende auch eine Herausforderung im Privatleben.

Hier geht es zu Teil 2/2, in dem die Inhalte der Podiumsdiskussion vom Freitag zusammengefasst werden.