Perspektiven nach der Europawahl: Trinationale Vernetzungstagung in Dresden. (Teil 2/2)

Rund 100 europapolitische Akteure aus Polen, Sachsen und Tschechien kamen Ende November zur 2. Trinationalen Vernetzungstagung in der Landeszentrale zusammen. Zu Workshops und Begegnungen, zu Podiumsdiskussionen und Inputs, zum Kennenlernen und Vernetzen. Hier, in Teil 2 unserer Tagungsdokumentation fassen wir die Podiumsdiskussion vom Freitag, 29.11., zusammen. Thema des Panels war: Rechtsruck unter Erstwählenden in Europa?

Strategien antidemokratischer Kräfte

„Junge Menschen wählen gerne vermeintlich neue Parteien, die sich rebellisch geben“, so die Einschätzung aus Tschechien. „Das machen sich Populisten zunutze.“ Dass populistische und rechtsextreme Parteien Emotionen von Jugendlichen politisch instrumentalisierten, sieht auch die Panelistin aus Sachsen so – vor allem Gefühle wie Angst oder Frust. Die polnische Expertin erklärte: „Junge Menschen stimmen bei Wahlen im eigenen Land gemäßigter und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament extremer.“

„Rechtsruck unter Erstwähler:innen in Europa? Warum haben junge Erwachsene oft europakritische und populistische oder sogar rechtsextreme Parteien gewählt? Wie soll die europapolitische Bildung darauf reagieren?“ Diesen Fragen stellten sich die drei Expertinnen auf dem der trinational besetzten Podium Freitagvormittag. Kristina Hubáčková, Abteilungsleiterin Europäische Kommunikation im Regierungsamt der Tschechischen Republik, diskutierte mit Iga Kamocka, der stellvertretenden Leiterin der polnischen Robert-Schuman-Stiftung und Annika Fleischer, der Co-Vorsitzenden der Jungen Europäischen Föderalist:innen Sachsen. Moderiert wurde das Panel von Katja Sinko, Projektkoordinatorin von Doppelstunde4EU & Europa im Kiez.

Was bewegt junge Menschen in Europa?

Im ersten Teil der Diskussion nahmen die Expertinnen die Lage, in der sich junge Menschen in Deutschland, Polen und Tschechien befinden, in den Blick. Junge Menschen in einem Alter von 14 bis 20 seien in einer Lebensphase, in der sich eigene politische Überzeugungen besonders stark entwickeln, sagte Kristina Hubáčková. Die aktuell junge Generation sei von vielen Krisen geprägt worden – etwa der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine. „Das hat zum einen ein besonderes Bedürfnis nach Stabilität, zum anderen das Verlangen nach Veränderung hervorgebracht.“ Nach ihrer Analyse holten sich Populisten die Stimmen junger Wähler und Wählerinnen häufig über Nischenthemen. „Es handelt sich in Tschechien um eine zahlenmäßig kleine Gruppe Jugendlicher, die tatsächlich rechtsextrem sind, sie droht jedoch zu wachsen und dringt in den Mainstream“, berichtete Hubáčková.

Annika Fleischer wertete die Lage für Deutschland und Sachsen aus: Junge Menschen seien mit der Existenz der AfD aufgewachsen, daher sei die Partei für die meisten ein ganz selbstverständlicher Teil des politischen Spektrums. Ältere Wählerinnen und Wähler hätten darauf oft einen anderen Blick. Fleischer brachte einen weiteren Punkt ein, den die Expertinnen aus Tschechien und Polen teilten: „Junge Menschen fühlen sich von der ‚großen Politik‘ nicht gehört, wohingegen kleinere politische Gruppen und Populisten Schein- Lösungen präsentieren“, so Fleischer. Iga Kamocka griff den Punkt mit Bezug auf die Lage in Polen auf: „Es gibt kaum Angebote der Politik an die Jugend.“ Auch in Polen sei die junge Generation geprägt durch Krisen: finanzielle Sicherheit, Arbeit, Inflation und höhere Lebenskosten – das seien zentrale Punkte. „Mit der Konsequenz, dass Themen wie Umwelt und Klimawandel oder Gleichberechtigung in den Hintergrund rücken, so Kamocka. „Weil sie teilweise weniger direkt den Alltag zu berühren scheinen.“

Skepsis der Politik gegenüber?

Grundsätzlich seien junge Menschen tendenziell eher kritisch oder skeptisch gegenüber Politik eingestellt – und das gelte sowohl für die Politik auf nationaler wie auch auf EU-Ebene, erklärte Hubáčková. „Denn es fehlt an Kontaktpunkten!“ Politischer Diskurs finde - spätestens seit der Corona-Pandemie – für junge Leute hauptsächlich online statt. Dennoch, so fasste sie zusammen: „Ein Großteil der jungen Tschechinnen und Tschechen behält ein positives Verhältnis zur EU!“ Die polnische Jugend messe sowohl den nationalen Wahlen als auch der EU-Wahl wird eine hohe Bedeutung zu, sagte Kamocka: „Denn sie wissen, es geht um ihre Zukunft.“ Fleischer beobachtet bei der deutschen Jugend einerseits die Tendenz zur Skepsis gegen die EU als solche, andrerseit habe die Partei Volt, die eine besonders pro-europäische Plattform pflegen, von jungen Menschen sehr viel Zuspruch erhalten.

Interesse für Europa wecken durch Empowerment

Wie kann politische Bildungsarbeit die Beziehung der jungen Generation zur EU zu stärken? „Wir müssen die EU konkret begreifbar machen und die Jugendlichen ermutigen, selbst aktiv mitzuarbeiten und ihre eigenen Ideen einzubringen“, formulierte Kamocka einen zentralen Punkt, dem alle auf dem Panel zustimmten. Ein erster Schritt dahin könne sein, dass junge Leute viel mehr persönliche Erfahrungen mit der EU machen, etwa durch Reisen und EU-weite Austauschprogramme oder internationale Online-Formate. Moderatorin Katja Sinko ergänzte, dass bereits bestehende Angebote wie Interrail für alle ermöglicht werden sollten. Hubáčková richtete den Blick auf die Vorteile der EU, die junge Menschen selbst erfahren müssten, um sie wertschätzen zu können. Derzeit sei ihnen die EU „zu abstrakt“. „Hinzu kommen vielleicht auch Sorgen oder Ängste, allein ins Ausland zu gehen – dabei sollten wir Jugendliche auf diesem Weg bestärken.“

Europa betrifft uns alle!

Um das Interesse und die Aufmerksamkeit von Jugendliche zu gewinnen, könnten Info-Angebote mehr darauf abzielen, die positiven Auswirkungen der EU unseren Alltag zu benennen, so Fleicher. Etwa Roaming Gebühren, die neuen einheitlichen Ladekabel, die Krankenversicherung im EU-Ausland oder die Möglichkeit, EU-weit zu arbeiten oder ein Praktikum zu machen. „Auch Gedankenexperimente können helfen“, sagte Kamocka: „Wie würden die Preise und das Angebot in unseren Läden aussehen, wenn es den europäischen Binnenmarkt nicht gäbe? Alle drei Expertinnen merkten kritisch an, dass die Wahlprogramme der Parteien zur EU-Wahl keinen eigentlichen EU-Fokus setzten, sondern die Wahl eher zur Profilierung für anstehende nationale Wahlen nutzten – ob in Tschechien, Deutschland oder Polen. Ein weiterer gemeinsamer Vorschlag für die Zukunft: Mehr Ressourcen für europäische politische Bildung an den Schulen! Dafür sollten europapolitische Fortbildungen für Lehrkräfte eingeführt und Unterrichtsmaterialien zum Thema Europa und EU entwickelt und stärker verbreitet werden.

Hier geht es zu Teil 1/1, unsere Dokumentation des ersten Konferenztags.