Seit Juni 2013 verhandeln EU und USA über ein Handels- und Investitionsabkommen namens Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz TTIP. EU und USA erwirtschaften nahezu 50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und vereinigen rund 30 Prozent des Welthandels auf sich. Von TTIP versprechen sich beide Seiten Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Einzelne Prognosen gehen von einem BIP-Zuwachs in der EU um 68 bis 119 Milliarden Euro aus. Besonders Deutschland könnte profitieren. Etwa 30 Prozent der EU-Exporte in die USA stammen aus Deutschland. Auch die krisengeschüttelten Staaten Südeuropas könnten gewinnen, etwa 400.000 Arbeitsplätze könnten in der EU entstehen.
Die häufigsten Einwände zielen in drei Richtungen: Zum einen wird den Verhandlungen ein undemokratischer, intransparenter und lobby-höriger Charakter unterstellt. Zum anderen wird befürchtet, dass eine Harmonisierung von Standards beiderseits des Atlantiks zu einem race to the bottom führe, welches hohe europäische Standards auf niedrige US-Niveaus zu senken drohe. Schlussendlich wird geargwöhnt, dass durch die vorgesehenen Schiedsgerichte die nationalstaatlichen Gerichte umgangen werden und Konzerne die Staaten in intransparenten Verfahren auf Steuerzahler-Kosten in Milliardenhöhe verklagen.
Schiedsgerichte sind nicht neu
Deutschland hat bereits mehr als 140 Abkommen mit entsprechenden Schiedsgerichts-Regelungen geschlossen. US-amerikanische Konzerne können längst die Bundesrepublik verklagen. TTIP würde keine neue Situation schaffen, wohl aber die Möglichkeit bieten, die bisherigen Verfahren zum Wohle der Öffentlichkeit zu reformieren, um beispielsweise die Transparenz zu erhöhen.
Verbraucher profitieren
Zu den vermeintlich niedrigen US-Standards sei angemerkt, dass diese sich in vielen Bereichen auf höherem Niveau befinden als die europäischen, z.B. bei den Grenzwerten für bedenkliche Substanzen in Kraftstoffen und Kinderspielzeug, bei der Arzneimittelzulassung, der Vergabe von BIO-Fleisch-Siegeln, der Pestizidbelastung bei Obst und ganz allgemein auch bei der Durchsetzung von Verbraucher-Rechten gegenüber Konzernen. Der Konflikt um die Standards gipfelte im Streit um das „Chlorhühnchen“. Längst haben auch deutsche Lebensmittelchemiker nachgewiesen, dass die Chlorbehandlung keine gesundheitlichen Risiken birgt. Die Keimbelastung ist geringer als bei einheimischem Federvieh.
Transparenz ist gesichert
Dass die Verhandlungen intransparent und undemokratisch seien, ist ebenfalls eine pauschale Unterstellung. Das Europäische Parlament hat am 23.05.2013 den Ministerrat aufgefordert, die Kommission zu ermächtigen, Verhandlungen über ein Abkommen für eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit den USA aufzunehmen. In diese Verhandlungen werden der Ministerrat und das Europäische Parlament einbezogen. Bisher wurden mehr als 80 parlamentarische Fragen beantwortet. Zusätzlich unterstützt seit Februar 2014 eine Beratergruppe aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbraucherschutz den EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero. Hervorzuheben ist auch der Dialog zwischen der Kommission und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Und letztendlich muss der von der Kommission ausgehandelte Vertrag vom Europäischen Parlament ratifiziert werden.
Handel und Diskurs
Vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzkrisen brauchen EU und USA einander, wollen sie das gegenwärtige Wohlstandsniveau nicht nur halten, sondern verbessern. TTIP ist dazu ein wichtiger Schritt und wird nicht nur den transatlantischen Wirtschaftsraum zukunftsfähiger gestalten, sondern Impulsgeber für die Weltwirtschaft sein. Das bedeutet nicht, dass die Bürger dies- und jenseits des Atlantiks den Prozess nicht aufmerksam und kritisch verfolgen und hinterfragen sollten. Jedoch scheint die gegenwärtige Kritik oftmals mehr einem Unverständnis der Strukturen und Prozesse der EU und einem schon nicht mehr latent zu nennenden Anti-Amerikanismus geschuldet zu sein. Hier wünscht man sich eine besser informierte Debatte.