Doch wirkliche Dialoge über die Abgabe von Statements hinaus kamen kaum zustande. Spätestens nach der Veranstaltung der Landeszentrale vom 7.Juli tauchen Zweifel auf, ob mit Vertretern dieses Meinungssektors überhaupt ein fruchtbringender Diskurs möglich ist. Zu offenkundig und einseitig wurden die Mindestnormen demokratischer Debattenprozesse verletzt. Zu diesen gehört die simple Fähigkeit zuzuhören, gehört der nicht nur im Journalismus verbindliche Grundsatz „Audiatur et altera pars“.
„Zornige alte Männer“ waren in der Einladung angekündigt. Weniger in Anspielung auf das Buch Axel Eggebrechts von 1982, sondern angesichts der Wahrnehmung, dass eine deutliche Mehrheit derer, die sich bei Dialogforen oder bei der Dresdner Bürgerkonferenz äußerten, Männer im fortgeschrittenen Alter sind. Wofür es übrigens noch keine plausible soziologische Erklärung gibt. Drei Herren lieferten also den Einstieg und damit den Stoff, mit dem sich anschließend vier Politiker auseinandersetzten. Für die abschließende Fishbowl-Runde blieb nach fast drei Stunden in schwüler Luft und aufgeheizter Atmsphäre kaum noch Zeit. Es lag nicht an diesem Konzept und am Thema, dass der Abend missriet, sondern an der Dominanz von Teilnehmern, die in der Landeszentrale offenbar nur Druckluft ablassen, aber nicht debattieren wollen. Von der Minderheit gingen jedenfalls viele zorniger, als sie gekommen waren.
Illusionen von Hilfen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge
Die Asylpolitik als das Sachsenthema Nr.1 bestimmte auch diesen Abend. Daneben ging es um die deutsche Unterstützung für die Ukraine und die Spannungen mit Moskau.
Schon der starke Beifall für die Glückwünsche von Hans. E. Gollan-Müller an die neue AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry zeigte eingangs, wohin das Publikum mehrheitlich tendiert. Der Geschäftsführer der Dresdner Umwelt- und Energiewirtschaft GmbH zeichnete das Bild einer „unsäglichen Einwanderungspolitik“, die im Gegensatz zur Gastarbeiterwelle der 1960-er Jahre eher eine „Verführung zur Untätigkeit“ darstelle. Die 1,65 Milliarden Euro, die Deutschland für Flüchtlinge und Asylbewerber ausgebe, seien „genau 1,65 Milliarden zuviel“. Um eine Überforderung Deutschlands zu vermeiden, sollten Arbeitsplätze im Herkunftsland geschaffen und hier nicht integrationsfähige Flüchtlinge im Heimatland wieder reintegriert werden.
Ähnliche Utopien äußerte mit Lothar Wilczek ein 75-jähriger Freiberger katholischer Diakon, der 25 Jahre in Kenia etwa 1.500 Afrikaner seelsorgerisch betreut hat. Er habe dem Fluchtdrang der Kenianer stets entgegengewirkt, Probleme sollten in den Herkunftsländern gelöst werden. Das Leben bestehe nun einmal aus Mühsal und Beschwerden. Deutschland solle nur Flüchtlinge aufnehmen, die einen Asylantrag in der Botschaft ihres Heimatlandes gestellt hätten.
Wilczek zeichnete das Bild eines handwerklich begabten, aber ungebildeten und langsam arbeitenden Afrikaners. Zur Demokratie seien sie nicht fähig, Parlamentssitzungen endeten stets in Schlägereien. Vor allem aber würden Religionskonflikte durch Flüchtlinge importiert, weil sich Schiiten und Sunniten auch als Asylsuchende nicht vertragen könnten. Deshalb müssten sie auch getrennt untergebracht werden. Die Angst der Durchschnittsbürger vor Muslimen sei verständlich, weil sie nicht unterscheiden könnten, wer in guter oder böser Absicht hier weilt. Die Thesen des Katholiken Wilczek erinnerten eher an die Haltung der Reformatoren Luther und Calvin, die die völlige Verderbtheit des Menschen von Anfang an voraussetzen, aus der ihn nur die Gnade Gottes befreien kann.
Gegen pauschale Etikettierungen von Aus- und Inländern
In den Antworten der Politiker wurden sie erwartungsgemäß kontrovers reflektiert. Der langjährige ehemalige Grünen-Abgeordnete Karl-Heinz Gerstenberg wunderte sich bei allem Respekt vor dem missionarischen Einsatz Wilczeks über dessen stereotype Darstellung der Afrikaner. Auch in europäischen Parlamenten, namentlich in der Ukraine, gebe es Prügelszenen. Von Ressentiments gegenüber Muslimen sei nichts zu spüren, wenn sie als kapitalkräftige Investoren wie etwa bei Globalfoundries auftreten. Gerstenberg wurde wiederholt lautstark attackiert, konnte nur unter Protesten derer, die sich als Erben der 1989-er wähnen, den Schriftsteller Christoph Hein zitieren. Der hatte schon zur Flüchtlingswelle 1992 über unsere Angst vor Wohlstandsverlusten geschrieben.
Der jungen SPD-Abgeordneten Hanka Kliese erging es kaum anders, als sie ebenfalls die Klischeevorstellungen ansprach, die über andere Völker wie über uns selbst kursieren. Nicht zur Kenntnis nehmen wollte Eingangsredner Gollan-Müller, dass die Zahl der kaum asylberechtigten Kosovo-Flüchtlinge inzwischen deutlich gesunken ist. Die Mehrheit des Publikums wollte von Kliese auch nicht an das militante Christentum erinnert werden. Die Kreuzzüge erscheinen dann als Verteidigungskriege gegen einen von Anfang an expansiven Islam. Auch bei Diakon Wilczek war jene subkutane Arroganz spürbar, die die christliche für die beste Religion und die abendländischen Traditionen für vorbildlich hält, obschon beide massiv erodieren. Daraus folgt aber keine wörtliche Befolgung des Evangeliums. Hanka Kliese lief mit ihrem Hinweis auf Matthäus 25 „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ ins Leere, und der ehemalige Landeskorrespondent der „Freien Presse“ Hubert Kemper erntete Proteste, als er sich als Katholik von einem Kirchenmann mehr christlichen Geist wünschte.
So hatte es Nabil Yacoub, der betagte ehemalige Vorsitzende des Dresdner Ausländerrates, auch sehr schwer, verfestigte Vorstellungen über einen angeblich mit westlicher Demokratie unvereinbaren Islam zurecht zu rücken. Am ehesten konsensfähig waren noch Hinweise, dass die USA bei Schürung und Ausnutzung religiös motivierter Konflikte eine üble Rolle gespielt haben und dass die Interessen auch der deutschen Waffenlobby nicht gerade zur Befriedung der Welt beitragen.
Moderate Töne von CDU und AfD
Mit auffallend schmalem Beifall bedacht wurden Äußerungen des ehemaligen Ministers und CDU-Landtagsfraktionsvorsitzenden Steffen Flath. Er warb für die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen „in einem der reichsten Länder der Welt“. Gerade in Sachsen sei noch „außerordentlich viel Platz“. Zugleich setzte sich Flath für konsequente Abschiebungen bei Ablehnung der Asylanträge ein und wandte sich gegen eine „Beratungskultur“, die die Grenzen des Rechtsstaates teste, um Flüchtlingen einen Daueraufenthalt zu sichern.
Moderat gab sich die neue Bundes- und sächsische AfD-Landesvorsitzende Frauke Petry. Sie referierte die bekannte AfD-Grundforderung nach einer Trennung von Asyl- und Einwanderungspolitik. Petry äußerte Verständnis für Fluchtmotive auch aus materiellem Elend heraus, verwies aber darauf, dass in klassischen Einwanderungsländern diese Neubürger auch für ihren Lebensunterhalt sorgen müssten.
Genauer hinschauen beim Ukraine-Konflikt
Vergleichsweise wenig kontrovers wurde der Ukraine- und Russlandkonflikt behandelt. Der Einführung durch den Historiker Alexander Haritonow war vor allem der Appell zu entnehmen, sich möglichst breit und aus mehreren Quellen über Hintergründe zu informieren. Das besondere Interesse und die auffälligen Russland-Sympathien in Ostdeutschland führt Haritonow auf DDR-Prägungen zurück. Seine mahnenden Hinweise auf die für die sächsische Wirtschaft besonders schmerzhaften Auswirkungen der Russland-Sanktionen wurden mehrfach aufgegriffen. Frauke Petry sprach von „staatsgelenkter Wirtschaft“, andere von Selbsttoreffekten.
Warnungen vor Niveauverlust in der politischen Debatte
Geradezu pastoral versuchte zum Schluss Kuratoriumsmitglied Prof. Werner Patzelt die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Nicht „Bekenntniswettbewerbe“ seien jetzt angebracht, sondern das Bemühen um Rationalität, Wertmaßstäbe, ja Weisheit. Auch der Soziologieprofessor Karl-Siegbert Rehberg anerkannte zwar die Ventilfunktion solcher Veranstaltungen. Aus ihnen müsste aber die Bereitschaft zu Selbsthinterfragung entstehen. Rehberg beklagte eine von Niveau- und Stilverlust geprägte Atmosphäre.
Diese Unkultur hat mittlerweile auch im Veranstaltungssaal der Landeszentrale bedenkliche Ausmaße angenommen. Insbesondere den beiden Abgeordneten von SPD und Grünen schlug noch vor ihrem ersten Satz Ablehnung, ja Hass entgegen. Lautstarke Zwischenrufe wie „Aufhören“ und „Mikrofon aus“ bei kritischen Äußerungen dokumentieren nur den Unwillen oder die Unfähigkeit, sich auf Argumente Andersdenkender einzulassen. Hier hätte Direktor Frank Richter ebenso freundlich, aber konsequent einschreiten müssen, wie er die Kritik von Gerstenberg und Kliese am Veranstaltungsformat zurückwies. Beide hatten bemängelt, dass zwar zahlreiche verängstigte oder frustrierte Bürger hier zu Wort kämen, kaum aber vom Schicksal ungleich härter behandelte Flüchtlinge.
Es ist nicht hinnehmbar, wenn ein Teilnehmer mit einer Geste des Erschießens ein fiktives Gewehr auf den Grünen Gerstenberg anlegt. Eine Landeszentrale für Politische Bildung darf der überall wahrnehmbaren Verrohung der politischen Auseinandersetzung nicht noch ungewollt Vorschub leisten.
Michael Bartsch ist Freier Journalist und schreibt u.a. für DNN, TAZ und Neues Deutschland