Was ist der Vertrag von Lissabon?
Der Vertrag von Lissabon ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den 27 (zum Zeitpunkt der Unterzeichnung noch 28) Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der die EU in einigen Bereichen reformierte. Er wurde am 13.12.2007 unterzeichnet und trat nach einem langwierigen Ratifizierungsprozess am 01.12.2009 in Kraft. Der Vertrag soll die EU handlungsfähiger, demokratischer und transparenter machen. Er wurde ausgehandelt, nachdem die Bürgerinnen und Bürger Frankreichs und der Niederlande den "Vertrag über eine Verfassung für Europa" im Mai und Juni 2005 mehrheitlich abgelehnt hatten.
Der Vertrag von Lissabon ändert sowohl den Vertrag über die Europäische Union (EUV), als auch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, welcher nun 'Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) heißt. Dadurch tritt die Europäische Union an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft (EG).
Die wichtigsten Inhalte
Der Vertrag von Lissabon enthält viele Neuerungen und Änderungen. Fallengelassen wurde die ursprünglich im Vertrag vorgesehene Verkleinerung der EU-Kommission, die dazu geführt hätte, dass künftig nicht mehr jedes Land in der Kommission vertreten gewesen wäre. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten Änderungen dargestellt werden.
- Die EU erhält durch den Vertrag eine eigene Rechtspersönlichkeit und kann dadurch völkerrechtliche Verträge in eigener Verantwortung schließen.
- Allgemein erhöht der Vertrag die Verständlichkeit des europäischen Primärrechts (EUV und AEUV), da er das Gesetzgebungsvefahren vereinfacht und den Rat der europäischen Union dazu verpflichtet, bei der Beratung von Gesetzentwürfen öffentlich zu tagen.
- Die Grundrechtecharta der EU wird durch einen Querverweis im Vertragstext rechtsverbindlich, wobei für das Vereinigte Königreich, Tschechien und Polen Sonderregelungen gelten.
- Die Demokratie und der Grundrechtschutz werden gestärkt durch die massive Ausdehnung der Befugnisse des Europäischen Parlaments. Die Macht des EU-Parlaments wird dadurch gestärkt, dass das Mitentscheidungsverfahren im Gesetzgebungsprozess zum Regelfall wird und die Kompetenzen in Bezug auf das Haushaltsrecht und den Abschluss internationaler Übereinkommen erweitert werden. Dadurch wird das Parlament gegenüber dem Rat der Europäischen Union zum gleichberechtigten Akteur.
- Weiterhin wird die Demokratie und der Grundrechtschutz durch die Stärkung der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente bekräftigt. Die nationalen Parlamente und der Ausschuss der Regionen erhalten mehr Kontrollmöglichkeiten im EU-Gesetzgebungsverfahren. Als "Frühwarnsystem zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips" wird ihnen ein Klagerecht vor dem EuGH eingeräumt.
- Die Handlungsfähigkeit der Union wird verbessert durch Reformen, die teilweise tief ins institutionelle Gefüge eingreifen. So wird durch den Vertrag von Lissabon die sog. 'doppelte Mehrheit' für Entscheidungen beim Europäischen Rat und beim Rat der europäischen Union eingeführt. Das bedeutet, dass für gewisse Entscheidungen die Zustimmung von mindestens 55% der Mitglieder, die gleichzeitig mindestens 65% der EU-Bevölkerung vertreten, notwendig ist. Diese Regelung hat einerseits zum Ziel, Gestaltungsmehrheiten zu erleichtern bzw. Blockademinderheiten zu erschweren. Zum anderen soll dadurch verhindert werden, dass die großen EU Staaten mit ihrer Bevölkerungsmehrheit gegen die Mehrheit der übrigen Staaten allein entscheiden können.
- Der Vertrag von Lissabon schafft das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (eine Art Außenminister bzw. Außenministerin der EU), der gleichzeitig Vizepräsident der EU-Kommission ist.
- Erstmals formal geregelt wird der freiwillige Austritt aus der EU.
Kritikpunkte
Der Vertrag von Lissabon brachte neben einer Vielzahl an Reformen und Änderungen auch einige Kritik ein. Einer der größten Kritikpunkte war, dass Vertrag von Lissabon die inhaltliche Substanz des EU-Verfassungsvertags nahezu unverändert übernahm, obwohl dieser ja 2005 mehrheitlich abgelehnt worden war. Weiter wurde kritisiert, dass der Vertrag von Lissabon keine maßgeblichen Verbesserungen bezüglich des 'Demokratidefizits' der EU gebracht hatte: die mächtige EU-Kommission ist weiterhin nur indirekt und mittelbar demokratisch legitimiert. Trotz der Ausweitung der Befugnisse des Europäischen Parlaments wurde kritisiert, dass das Europäische Parlament weiterhin kein Initativrecht für Gesetze besitzt und zudem immer noch keine Zuständigkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik besitzt. Bezüglich der Beibehaltung des Prinzips der degressiven Proportionalität führen Kritiker an, dass so gegen das Prinzip der Wahlgleichheit verstoßen wird.
Das Bundesverfassungsgericht entschied durch ein Urteil vom 30.06.2009, dass der Vertrag von Lissabon mit dem Grundgesetz vereinbar sei.