Wenn man bedenkt, wie groß und umfassend die EU ist und wie kompliziert sie manchmal sein kann, kann man schon mal den Eindruck bekommen, dass die Interessen der Regionen im großen EU-Uhrwerk untergehen können. Die folgenden Beiträge befassen sich folglich mit der Frage, wie das Bundesland Sachsen in diesem großen Uhrenwerk mitwirken kann.
Eine der wichtigsten und unmittelbarsten Möglichkeiten der Einflussnahme von sächsischen Bürgerinnen und Bürgern auf das politische Geschehen der europäischen Ebene ist wohl die Direktwahl von Abgeordneten in das Europäische Parlament (EP). Momentan (Stand: 2019) sind fünf sächsische Abgeordnete im Europäischen Parlament vertreten, jeweils eine bzw. einer von der CDU, der SPD, der Linken, der AfD und von Bündnis90/Die Grünen. 5 Abgeordnete hören sich nach wenig an, allerdings ist es bei den vergleichsweise kleineren Bundesländern Deutschlands völlig normal, durch ca. 5 Abgeordnete im EU-Parlament repräsentiert zu werden. Eine feste regionale Aufschlüsselung gibt es jedoch nicht - manche Parteien erstellen zwar Landeslisten, die meisten jedoch Bundeslisten. Und wenn man bedenkt, dass Deutschland insgesamt 96 Abgeordnete, und andere EU-Länder wie z.B. Malta oder Luxemburg nur 6 Abgeordnete insgesamt wählen, dann scheinen die 5 doch gar nicht so wenig.
Nachdem die Wahlbeteiligung bei der ersten Europawahl in Sachsen im Jahr 1994 noch 70,2 Prozent betragen hat, sank sie zwischenzeitlich 1999 auf nur noch 53,6 Prozent und hat sich 2019 bei 63,6 Prozent eingependelt. Die traditionell eher niedrigere Wahlbeteiligung bei Europawahlen lässt vermuten, dass die Wählerinnen und Wähler den Gestaltungsmöglichkeiten des EP nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Mit dem Hintergedanken, dass die EU auch oftmals dafür kritistiert wird, nicht ausreichend demokratisch legitimiert zu sein, wird seit Jahren progressiv versucht, die Gestaltungsmöglichkeiten des EP auszubauen. So sieht z.B. der im Jahr 2007 verabschiedete Verfassungsvertrag eine erhebliche Aufwertung des EP vor. Der neue Vertrag beinhaltet in einem gesonderten Artikel eine stärkere Berücksichtigung der nationalen Parlamente in der EU vor. Damit erhalten die nationalen Parlamente und über den Bundesrat auch die deutschen Länder eine verbesserte Möglichkeit, die Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu kontrollieren. Um diese Kontrolle wirkungsvoll durchzusetzen, haben die nationalen Parlamente und auch der Ausschuss der Regionen, in dem Sachsen vertreten ist, auch Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen.
Einflussnahme über den Bundesrat
Nach Artikel 23 Grundgesetz wirken die Länder durch den Bundesrat in Angelegenheiten der EU mit, indem sie die Bundesregierung über den Bundesrat zu einem bestimmten Handeln gegenüber der EU bewegen. Sachsen ist also durch den Bundesrat an der europapolitischen Entscheidungsfindung beteiligt. Die Bundesrepublik wird seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 im Rat der EU durch die Länderminister vertreten, wenn Bildungs-, Kultur- oder Medienfragen – also solche Themen, bei denen die Länder die ausschließliche Gesetzgebung haben – behandelt werden. In diesen Fällen ist natürlich eine enge Abstimmung mit den anderen Ländern notwendig, um sächsische Positionen durchzusetzen. Ebenfalls seit 2006 erhält der Bundesrat von der Kommission alle wichtigen Dokumente zur Stellungnahme übersandt. Damit haben die Länder die Möglichkeit, eine Verhandlungsposition zu einem Vorhaben der EU mit zu bestimmen. Der Bundesrat hat darüber hinaus eine Europakammer gebildet, in der alle EU-Angelegenheiten beraten werden und deren Beschlüsse als Beschlüsse des Bundesrates gelten. Mitglieder dieser Europakammer sind die Europaminister der Länder, für Sachsen ist dies die Sächsischen Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, aktuell (2020) Frau Katja Meier. Auch im Europa- und im Auswärtigen Ausschuss wirken die Vertreter Sachsens an der europapolitischen Meinungsbildung mit. Zudem haben sich die Europaminister der Länder zum Zwecke einer besseren gegenseitigen Interessenabstimmung zu einer entsprechenden Fachministerkonferenz zusammengeschlossen.
Einflussmöglichkeiten in Brüssel
Neben der Möglichkeit, über den Bundesrat oder die Europaministerkonferenz an EU-Angelegenheiten mitzuwirken, kann Sachsen auch direkt bei den europäischen Institutionen in Brüssel seinen Einfluss geltend machen. In Ratsarbeitsgruppen und Kommissionsausschüsse entsenden die Länder über den Bundesrat Ländervertreter und wirkt so – wenn auch indirekt - an Entscheidungen der EU-Gremien in vielen Bereichen mit. Die Kommission beschäftigt zudem regelmäßig so genannte nationale Experten aus den Mitgliedstaaten. Hierbei handelt es sich um Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst oder aus dem Privatsektor, die für eine Dauer von bis zu drei Jahren an die Kommission abgeordnet werden. Sachsen stellt derzeit drei solcher nationalen Experten.
Als eine Region mit eigenen Gesetzgebungsbefugnissen hat der Freistaat im Ausschuss der Regionen (AdR) ein besonderes Gewicht. Dieser Ausschuss ist ein beratendes Gremium innerhalb der EU, das die Aufgabe hat, regionale und lokale Interessen zu bündeln und in den Rechtssetzungsprozess der Gemeinschaft ein zu bringen. Der AdR wurde im Maastrichter Vertrag vor allem auf Betreiben der deutschen Bundesländer verankert. Angesichts der zunehmenden Ausdehnung von Gemeinschaftspolitiken auf Länderkompetenzen strebten die Bundesländer nach einer eigenständigen institutionellen Mitwirkung in der EU.
Auch über eine Vielzahl von informellen Kontakten gelingt es immer wieder, sächsischen Interessen auf EU-Ebene Gehör zu verschaffen. Eine besonders wichtige Rolle für die „Sachsen-Lobby“ spielt dabei das Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen in Brüssel. Es ist im Geschäftsbereich der Staatskanzlei angesiedelt und gehört zum Zuständigkeitsbereich des Bevollmächtigten für Bundes- und Europaangelegenheiten. Das „Sachsenbüro“ pflegt die Kontakte zwischen den Landes- und den europäischen Behörden, zu nationalen Experten aus der sächsischen Verwaltung, die zu europäischen Behörden abgeordnet wurden und die Kontakte auf der parlamentarischen Ebene. Zu seinen Aufgaben gehört die Beobachtung aller für den Freistaat wichtigen Aktivitäten der europäischen Behörden, Institutionen und Dienststellen in Brüssel. Zudem ist das „Sachsenbüro“ ständige Anlaufstelle für alle sächsischen Interessen in Brüssel und übernimmt in gleicher Weise eine Wegweiserfunktion für alle europäischen Aktivitäten in Richtung Sachsen. Daneben dient das Büro auch als eine Art „sächsische Botschaft“, die durch Veranstaltungen und Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit über den Freistaat in Brüssel informiert.
Europawahlen in Sachsen
Ergebnisse der Europawahlen in Sachsen
Gültige Stimmen 1994 bis 2019 nach Parteien in Prozent
Wahljahr | CDU | SPD | Linke/PDS | Grüne | FDP | NDP | AfD | Sonstige |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1994 | 39,2 | 21,0 | 16,6 | 5,6 | 3,8 | 0,2 | - | 13,5 |
1999 | 45,9 | 19,6 | 21,0 | 2,7 | 2,3 | 1,2 | - | 7,5 |
2004 | 36,5 | 11,9 | 23,5 | 6,1 | 5,2 | 3,3 | - | 13,5 |
2009 | 35,3 | 11,7 | 20,1 | 6,7 | 9,8 | - | - | 16,2 |
2014 | 34,5 | 15,6 | 18,3 | 6,0 | 2,6 | 3,6 | 10,1 | 9,3 |
2019 | 23,0 | 8,6 | 11,7 | 10,3 | 4,7 | 0,8 | 25,3 | 15,6 |
Gewählte sächsische Abgeordnete im Europaparlament seit 2019
Listenplatz | Name | gewählt über |
---|---|---|
7 | Cavazzini, Anna | Bundesliste Bündnis 90/Die Grünen |
3 | Ernst, Dr. Cornelia | Bundesliste Die Linke |
1 | Jahr, Dr. Peter | Landesliste CDU |
3 | Krah, Dr. Maximilian | Bundesliste AfD |
11 | Krehl, Constanze | Bundesliste SPD |