Neben der Frage, welche Risiken die KI für die Gesellschaft birgt, dreht sich eine Diskussion vor allem um die Sorge, KI könne Arbeitsplätze vernichten. Hier lässt sich die Debatte in zwei Lager einteilen: Während einige der Meinung sind, KI erschaffe erst recht neue Arbeitsplätze, warnen andere, wie beispielsweise auch Unternehmerinnen und Unternehmer im Bereich der Techbranche davor, dass KI Jobs ersetzen oder gar in Millionenzahl “vernichten” könnte.
Künstliche Intelligenz ist in ihrer derzeitigen Form, unabhängig davon, wie man ihre Zukunftspotenziale einschätzt, zunächst einmal vor allem eines: Ein Werkzeug. Werkzeuge sind so alt wie die Menschheit selbst, nicht wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler definieren die Verwendung von Werkzeugen auch als das Motiv, was Menschen von (zumindest den meisten) Tieren überhaupt abhebt. Dabei kam es in der Geschichte der Menschheit immer wieder zu Technologien, welche alte Dinge, Verfahrensweisen und Methoden überflüssig machten, weil sie neue ermöglichten: Das Rad ermöglichte erheblich einfacheren Transport von Gütern und “kostete” so vielen Trägerinnen und Trägern ihren “Job”. Das Joch ermöglichte den effektiveren Einsatz von Tieren in der Landwirtschaft und machte damit viele Erntekräfte “arbeitslos”. Die Dampfmaschine, die Waschmaschine, das Internet und viele weitere: Disruptive (“unterbrechende” oder “erschütternde”) Technologien ersetzten menschliche Arbeit und automatisierten sie zu einem gewissen Grad.
Dass damit eine Veränderung der Arbeitsteilung von Menschen einhergeht und Veränderungen nach sich zieht, dass menschliche Arbeitskraft dann zunächst anderweitig verteilt wird, bildet den Kern dessen, was der Ökonom und Soziologe Joseph Schumpeter “schöpferische Zerstörung” nannte. So wie Innovationen in einer Marktwirtschaft verhältnismäßig schnell Einzug halten, so verdrängen sie alte Prozesse aus der Gesellschaft. Dennoch trauert niemand den Tagen nach, in denen Wäsche mit Hand gewaschen und Baumstämme auf der Schulter getragen werden mussten.
Es zeigt sich also, dass Technologien und Veränderungen von Arbeitsprozessen vor allem eine Frage der Verteilung von Arbeit allgemein darstellen. Dass Menschen Arbeitsplätze innehaben und diese mitunter wie einen Augapfel hüten oder Angst vor ihrem Verlust haben, ist ein eher modernes Phänomen. In vorindustriellen und damit auch vorkapitalistischen Zeiten gab es ein gewisses Maß an Arbeit, was einfach erledigt werden musste, um das Überleben (wie auch die Abgabe an die Lehnsherren) zu sichern. Wie viel Zeit dafür aufgebracht werden musste, war zweitrangig. Erst mit der Entstehung eines Arbeitsmarktes im modernen Sinne tauschen Menschen Lebenszeit gegen Lohn und auch erst seitdem kommt dem Arbeitsplatz eine so hohe Bedeutung für das Ansehen, die Würde und das Sinnempfinden der Menschen zu. Dass Menschen Arbeit früher anders wahrgenommen und aufgeteilt haben, zeigt damit aber auch, dass diese Fragen vor allem kulturelle Fragen sind, die einem Wandel unterliegen.
Es kann als sicher gelten, dass sich in einer Marktwirtschaft nur diejenigen Prozesse und Technologien durchsetzen, welche die Produktivität, Effektivität und Effizienz langfristig erhöhen. Der „Kuchen“ wird mit oder ohne KI und Automatisierung also größer, insgesamt wird (abgesehen von Krisen und Schocks, die aber auch unabhängig von Technologien auftreten) mehr erwirtschaftet werden. Das Bruttoinlandsprodukt geht weltweit, in der EU, in Deutschland langfristig nach oben, nominal wie real. Wie dieses Mehr verteilt wird, ist dann eine politische Frage.
Die Ansicht, dass durch einen Wegfall von Arbeitsplätzen die Lebensgrundlage von Menschen verloren geht, ist nur dann richtig, wenn eine würdige Lebensgrundlage an eine Arbeitsstelle im klassischen Sinn gekoppelt ist. Mittel, die verteilt werden können und diese Lebensgrundlage sichern, gehen in der langen Frist nicht verloren. Vielmehr könnte eine Automatisierung, wenn sie wirklich disruptiv wirkt und langfristig viele Menschen an ihrem Arbeitsplatz ersetzt, eine neue “soziale Frage” aufwerfen, wenn sich Menschen in großer Anzahl auf eine zu niedrige Lebensgrundlage gesetzt fühlen.
Letztlich ist also gar nicht die Frage entscheidend, ob KI Arbeitsplätze erschafft oder abschafft. Mehr wird davon abhängen, wie sich die kulturelle Wahrnehmung rund um den Begriff der Arbeit wandeln wird. Die Dinge, die “Arbeitsplätze bedrohen”, sind in der Regel Dinge, die uns Menschen das Leben leichter machen, insbesondere dadurch, dass sie Arbeitszeit reduzieren. Liberale Vordenker der modernen Marktwirtschaft und Automatisierung wie John Maynard Keynes oder John Diebold gingen schon früh im 20. Jahrhundert davon aus, dass Menschen schon in wenigen Jahrzehnten mit 20 Wochenarbeitsstunden einen ausreichenden Lebensstandard abgesichert haben werden. Was heute mitunter als realitätsfremd eingeordnet wird, kann also auch als Versprechen der Marktwirtschaft an die Menschen gewertet werden. Wie realistisch die schrittweise Entkopplung von Lebensgrundlage und Arbeitsstelle ist, wird sich erst in Zukunft zeigen. Ebenso muss sich erst herausstellen, ob KI überhaupt eine disruptive Technologie im Sinne der “schöpferischen Zerstörung” darstellt. Wenn sie es aber ist, werden wir in Zukunft möglicherweise so weit sein, nicht über “Arbeitsplatzverlust” zu diskutieren, sondern über die faire Verteilung eines immer weiter anwachsenden Gesamtwohlstandes.