Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes legt die Grundlage für das System der repräsentativen Demokratie in Deutschland:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
Der Deutsche Bundestag ist als direkt gewählte Volksvertretung das oberste Verfassungsorgan innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Seine Vorrangstellung ergibt sich zum einen daraus, dass er als einziges Verfassungsorgan auf Bundesebene direkt vom Volk gewählt wird. Zum anderen ist die Regierung innerhalb der parlamentarischen Demokratie vom Vertrauen des Parlaments abhängig und muss sich ihm gegenüber verantworten.
Funktionen des Bundestages
Der Bundestag ist das wichtigste Organ im Gesetzgebungsverfahren. Ohne seine Beschlussfassung kommt kein Gesetz zustande. Er erfüllt innerhalb des parlamentarischen Regierungssystems eine wichtige Wahlfunktion, indem er das Recht hat, den Bundeskanzler zu wählen. Dies geschieht durch Neuwahl am Beginn einer Legislaturperiode oder durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Die Möglichkeit des Parlaments, den Kanzler zu wählen und über das konstruktive Misstrauensvotum zu stürzen, ist die „schärfste Waffe“ des Bundestages gegenüber der Regierung und stellt eines der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen einem parlamentarischen und einem präsidentiellen Regierungssystem dar.
Als Kerngedanke einer Demokratie wird oftmals festgehalten, dass Gesetze durch Vertreter verabschiedet werden, welche durch die Bevölkerung gewählt werden. Darüber hinaus gehört es jedoch auch zu den demokratischen Prinzipien, dass die Regierung selbst aus Wahlen hervorgeht. Dabei lassen sich verschiedene Möglichkeiten denken, wie dies erfüllt werden kann, allen voran das System der präsidentiellen Demokratie und das der parlamentarischen Demokratie.
Präsidentielle Demokratie: In diesem System wird die Regierung direkt von der Bevölkerung und unabhängig vom Parlament gewählt. Ein Beispiel hierfür wären die USA oder auch die Schweiz. So finden in den USA die Präsidentschaftswahlen unter großer medialer Aufmerksamkeit statt und überragen in dieser Hinsicht sogar die Kongresswahlen. Dementsprechend viel Autorität genießt der Präsident der Vereinigten Staaten, er ist gleichzeitig Regierungschef und Staatsoberhaupt und mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattet, die ihm mitunter erlauben, ohne Grundlage des Parlaments zu regieren. Außerdem kann der Präsident nicht vom Kongress abberufen werden, da er nur der Bevölkerung gegenüber rechenschaftspflichtig ist. In diesem System kann es häufig vorkommen, dass die Mehrheit des Parlaments und die Regierung unterschiedlichen Parteien angehören. Ein Vorteil des präsidentiellen Systems liegt darin, dass sich die Bevölkerung durch ihre Wahl mit der Person des Präsidenten auseinandersetzt und durch das ausbleiben von Koalitionsregierungen schon während der Wahl eine klare Vorstellung darüber hat, welche Regierungsprogramme zur Alternative stehen.
Parlamentarische Demokratie: In diesem System wird die Regierung nicht direkt von der Bevölkerung, sondern vom Parlament gewählt. Das führt dazu, dass die Mehrheit im Parlament die entscheidende Größe wird, um politische Veränderungen herbeizuführen, da eine Regierung sich auf diese Mehrheit stützen kann, von der sie gewählt wurde und mithilfe derer sie auch Gesetze verabschieden kann. Außerdem kann die Regierung in einem parlamentarischen System vom Parlament abberufen werden, in Deutschland gibt es dazu beispielsweise das sogenannte „konstruktive Misstrauensvotum“. In solchen Regierungssystemen verläuft die Gewaltenteilung also nicht direkt zwischen Parlament und Regierung, sondern durch das Parlament hindurch und zeigt sich an der Gegenüberstellung von Regierungsmehrheit und Opposition. Der Vorteil an parlamentarischen Systemen besteht darin, dass eine Blockadesituation, in der sich Parlament und Regierung uneinig sind (wie z.B. der sogenannte „Shutdown“ in den jährlichen US-Haushaltsverhandlungen), nur in absoluten Ausnahmefällen eintritt. Außerdem wird die Bedeutung des Parlaments aufgewertet, welches dann den Dreh- und Angelpunkt der politischen Entscheidungen darstellt. Gleichzeitig kann dies in einer politischen Landschaft mit vielen Parteien dazu führen, dass die Bevölkerung die Zusammensetzung der Regierung nicht komplett entscheiden kann, wenn die Regierungsbildung einer Koalition aus mehreren Parteien bedarf.
Nicht alle demokratischen Systeme lassen sich in diese Kategorien einordnen. So existieren beispielsweise auch sogenannte „semi-präsidentielle“ Systeme, in denen eine Mischung beider Funktionslogiken vorzufinden ist. Beispiele hierfür wären Frankreich oder Polen. In diesen Systemen sehen sich von der Bevölkerung direkt gewählte Staatsoberhäupter dazu gezwungen, mit durch das Parlament gewählten, starken Ministerpräsidenten gemeinsam eine Regierung zu bilden.
In enger Verbindung mit dieser Wahlfunktion steht die Kontrollfunktion des Bundestages gegenüber Regierung und Verwaltung. Sie wird vor allem von der parlamentarischen Opposition wahrgenommen und erfolgt sowohl über das Budgetrecht (Haushaltsrecht) als auch über verschiedene parlamentarische Instrumente wie Anfragen, Petitionen oder die Einsetzung von Ausschüssen zu speziellen Themen. Die Wahl-, Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen des Parlaments werden ergänzt durch die so genannten Öffentlichkeitsfunktionen. Gemeint sind damit die Diskussion und die Formulierung politischer Aussagen, durch welche das Parlament der Öffentlichkeit die Breite des politischen Meinungsspektrums der Parteien vermittelt und der Bevölkerung so die Teilhabe an politischen Entscheidungen ermöglicht. Umgekehrt besitzt der Bundestag auch die Aufgabe, den politischen Willen der Bevölkerung auszudrücken und im parlamentarischen Verfahren angemessen zu repräsentieren.
Trotz dieser Funktion des Bundestages stellt das Plenum heutzutage nicht mehr den zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung dar. Dies äußert sich immer wieder in medialen Debatten, wenn zu Plenarsitzungen nur wenige Abgeordnete anwesend sind. Im Falle des Bundestages handelt es sich jedoch hauptsächlich um ein sogenanntes „Arbeitsparlament“, welches in der Wissenschaft von „Redeparlamenten“ unterschieden wird. Der Alltag von Arbeitsparlamenten wird dabei stark von Arbeitsteilung unter den Abgeordneten bestimmt: Diese beschäftigen sich vor allem mit ihrem Spezialgebiet und vertrauen auf die Expertise ihrer Fraktionskollegen. Die Positionen der Fraktionen zu den Gesetzesvorhaben wird in Fraktionssitzungen abgestimmt, in denen die einzelnen Fachpolitiker von den Auseinandersetzungen aus den Fachausschüssen, Arbeitsgruppen oder Arbeitskreisen berichten. In den Fachausschüssen, welche sich terminlich häufig mit Plenarsitzungen zu anderen Themen überschneiden, findet die eigentliche parlamentarische Arbeit statt. Hier werden im kleineren Kreis der Fachpolitiker aller Parteien Kompromisse zwischen den Fraktionen ausgelotet und Gesetzesentwürfe erarbeitet. Im Plenum werden Debatten also weniger auf Kompromissfindung angelegt, sondern dienen vor allem dazu, die Haltung der Fraktion vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass die Bedeutung der Medien für die politische Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung stetig zunimmt. Neben die klassischen Parlamentsdebatten sind viele andere Möglichkeiten für ein medienwirksames Auftreten von Politikern getreten. Auch die Tatsache, dass immer häufiger Entscheidungen von der nationalen auf die supranationale Ebene – also vor allem auf das Europäischen Parlament – verlagert werden, unterstützt diesen schleichenden Bedeutungsverlust des Bundestages in der Wahrnehmung der Bevölkerung.
Organisation und Arbeitsweise
Spätestens am 30. Tag nach jeder Bundestagswahl tritt das neue Parlament zur ersten, konstituierenden Sitzung zusammen. Sitz des Bundestages ist seit 1998 Berlin, während der deutschen Teilung tagte er in Bonn. Die Sitzung wird durch den Alterspräsidenten (seit 2017 der dienstälteste Abgeordnete) eröffnet, anschließend wählen die Abgeordneten den Bundestagspräsidenten für eine Wahlperiode. Jede Fraktion stellt einen Stellvertreter für das Präsidium des Bundestages zur Wahl. Der 19. Deutsche Bundestag konstituierte sich am 24. Oktober 2017. Er besteht aus 709 Bundestagsabgeordneten, die in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl vom Volk für die Dauer von vier Jahren gewählt wurden. Die Abgeordneten gelten als Vertreter des gesamten Volkes, die an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich sind. Sie sind in der Regel Mitglieder von Parteien, deren Ziele sie teilen und mitbestimmen und von denen sie als Kandidaten zur Wahl aufgestellt wurden. Zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit genießen die Abgeordneten Immunität und Indemnität und haben ein Zeugnisverweigerungsrecht. Ein Bundestagsabgeordneter erhält als Diät monatlich 9780,28€, welche einerseits eine Entlohnung seiner Arbeit darstellen, andererseits seine finanzielle Unabhängigkeit gewährleisten soll.
Die Fraktionen sind die zentralen politischen Handlungseinheiten, die die Arbeit des Parlaments organisieren und steuern. Die Abgeordneten einer Partei schließen sich zu einer Fraktion zusammen. Zur Fraktionsbildung ist im Deutschen Bundestag eine Mindestzahl von fünf Prozent der Abgeordneten (d.h. 36 Sitze) vorgeschrieben. Bleibt die Zahl der Abgeordneten einer Partei unter dieser Fraktionsstärke, so können sie sich zu einer Gruppe zusammenschließen. Die Fraktionen besetzen entsprechend ihrer Stärke das Präsidium, den Ältestenrat und die Ausschüsse des Bundestages. Man unterscheidet ständige Ausschüsse, die die gesamte Legislaturperiode über bestehen und thematisch in etwa dem Ressortzuschnitt der Ministerien entsprechen von Ausschüssen, die nur zur Erledigung bestimmter Aufgaben gebildet und danach wieder aufgelöst werden.
Jahr/Sitze | CDU/CSU | SPD | FDP | GRÜNE | LINKE (PDS) | AfD | Sonstige |
---|---|---|---|---|---|---|---|
2021 735 | 24,1% 196 | 25,7% 206 | 11,5% 92 | 14,8% 118 | 4,9% 39 | 10,3% 83 | SSW 1 |
2017 709 | 32,9% 246 | 20,5% 153 | 10,7% 80 | 8,9% 67 | 9,2% 69 | 12,6% 94 | |
2013 631 | 41,5% 311 | 25,7% 193 | 4,8% 0 | 8,4% 63 | 8,6% 64 | 4,7% 0 | |
2009 622 | 33,8% 239 | 23,0% 146 | 14,6% 93 | 10,7% 68 | 11,9% 76 | ||
2005 614 | 35,2% 226 | 34,2% 222 | 9,8% 61 | 8,1% 51 | 8,1% 51 | ||
2002 603 | 38,5% 248 | 38,5% 251 | 7,4% 47 | 8,6% 55 | 4,0% 2 | ||
1998 669 | 35,1% 245 | 40,9% 298 | 6,2% 43 | 6,7% 47 | 5,1% 36 | ||
1994 672 | 41,5% 294 | 36,4% 252 | 6,9% 47 | 7,3% 49 | 4,4% 30 | ||
1990 662 | 43,8% 319 | 33,5% 239 | 11,0% 79 | 1,2% 8 | 2,4% 17 |
Partei | Anteil Zweitstimmen im Bund | Zweitstimmen im Bund Anteil Zweitstimmen in Sachsen | Sitze im Bundestag | Sächsische MdB |
---|---|---|---|---|
SPD | 25,7% | 19,3% | 206 | 8 |
CDU/CSU | 24,1% | 17,2% | 196 | 7 |
GRÜNE | 14,8% | 8,6% | 118 | 4 |
FDP | 11,5% | 11% | 92 | 5 |
AfD | 10,3% | 24,6% | 83 | 10 |
LINKE | 4,9% | 9,3% | 39 | 3 |
Sonstige | 8,7% | 9,9% |
Fraktion | Vizepräsident/-in |
CDU/CSU | Yvonne Magwas |
SPD | Aydan Özoğuz |
Bündnis 90/Die Grünen | Katrin Göring-Eckardt |
FDP | Wolfgang Kubicki |
LINKE | Petra Pau |
2021- | Bärbel Bas, SPD |
2017-2021 | Wolfgang Schäuble, CDU |
2005-2017 | Norbert Lammert, CDU |
1998-2005 | Wolfgang Thierse, SPD |
1988-1998 | Rita Süssmuth, CDU |
1984-1988 | Philipp Jenninger, CDU |
1983-1984 | Rainer Barzel, CDU |
1979-1983 | Richard Stücklen, CSU |
1976-1979 | Karl Carstens, CDU |
1972-1976 | Annemarie Renger, SPD |
1969-1972 | Kai-Uwe von Hassel, CDU |
1954-1969 | Eugen Gerstenmaier, CDU |
1950-1954 | Hermann Ehlers, CDU |
1949-1950 | Erich Köhler, CDU |
Debatten über die Größe des Bundestags
Seit den frühen Jahren des Bundestags wuchs die Zahl der Abgeordneten beständig an. Zum einen lag dies am Beitritt der ostdeutschen Bundesländer zum Gebiet der Bunderepublik Deutschland im Nachgang der friedlichen Revolution. Durch den starken Anstieg der Bevölkerungszahl war eine entsprechende Erhöhung der Sitze im Parlament notwendig, um eine Repräsentation der neuen Bundesländer zu gewährleisten. In jüngster Zeit sorgt jedoch vor allem das Wahlrecht, insbesondere das Prinzip der Überhangsmandate, für eine immer weiter ansteigende Zahl an Abgeordneten (siehe Video unten). Je mehr also eine Partei in der Lage ist, im Großteil der Wahlkreise Direktkandidaturen zu gewinnen, ohne aber bundesweit entsprechend gute Ergebnisse nach Zweitstimmen zu erreichen, desto mehr Abgeordnete sitzen insgesamt im Bundestag. In den letzten Jahren betrifft dies die beiden Unionsparteien. So gewannen CDU und CSU zur Bundestagswahl 2017 231 der 299 Wahlkreise (77%), nach Zweitstimmen standen ihnen aber nur 32,9% der Stimmen zu. Ob der Bundestag in Zukunft weiter anwächst, wird also vor allem mit der Frage zusammenhängen, ob die Unionsparteien weiterhin starke Erststimmenergebnisse in Kombination mit verhältnismäßig schwachen Zweitstimmenergebnissen erlangen.