„... bis es nicht mehr war“ (Alexei Yurchak)
Noch im Frühling 1989 konnte sich kaum jemand - weder die Menschen in den Ländern des Warschauer Paktes, noch ihre Beobachter im Westen - ein Europa ohne Staatssozialismus vorstellen. Niemand sah die Implosion der kommunistischen Regime voraus, die in rasanter Geschwindigkeit innerhalb weniger Monate wie Dominosteine erfasst wurden und fielen.
Was im Rückblick als „die Wende“ bezeichnet wurde, kam unerwartet, ihr Verlauf war ungewiss. So fanden am 4. Juni in der Volksrepublik Polen auf Druck der Opposition friedliche, erste halbwegs freie Wahlen zum Nationalparlament statt. Am gleichen Tag verübte die Volksrepublik China ein Massaker an seinen protestierenden Bürgern. Diese konträren Ereignisse zeigten ganz unterschiedliche Reaktionen und Möglichkeiten der Regime, dem drohenden wirtschaftlichen Kollaps und der Legitimationskrise zu begegnen.
Erst die Geschichte sollte zeigen, dass auch die große Mehrheit der systemtragenden Eliten in Mittel- und Osteuropa mit ihren gigantischen Sicherheitsapparaten nicht mehr bereit war und sich nicht in der Lage sah, für den Erhalt ihres Systems und ihrer Macht zu kämpfen. Nach Michail Gorbatschows Aufkündigung der „Breschnew-Doktrin“, wonach der Erhalt des Sozialismus in jedem Mitgliedstaat des Warschauer Pakts notfalls mit militärischer Gewalt der Bündnispartner gesichert werden müsste, blieb jedes Regime auf sich allein gestellt. Eine Invasion wie in die CSSR 1968 würde sich nicht wiederholen. Die Demonstranten in den jeweiligen Ländern wussten von diesen Entwicklungen und von der Bewegung in den Nachbarländern. Der Protest und der Zerfall der Diktaturen waren miteinander verwoben.
Denn von Anfang an war die Zeitenwende 1989 ein Medienereignis, hielten Bilder und Überschriften nicht bloß Ereignisse fest, sie beeinflussten das weitere Geschehen. Die hier ausgestellten, von Mirko Krizanovic für die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschossenen Fotographien gehören zu diesen Bildern, die Geschichte machten.
In ihrer Zusammenschau ermöglichen sie uns heute, die Gemeinsamkeiten der Umstürze ebenso wie den unterschiedlichen Verlauf in den einzelnen Staaten und Regionen zu vergegenwärtigen. Die Vorgeschichte der Zeitenwende wird im folgenden ersten Kapitel der Ausstellung erläutert und in globaler Perspektive das Auseinanderfallen des „Ostblocks“ als Ergänzung zur zeitgenössischen Perspektive der Fotos dargelegt. Auf die Unterschiede in den besuchten Ländern DDR, Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien gehen die jeweiligen Ländertexte ein.
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