Montagsdemonstranten fordern Wiedergründung Sachsens
Noch bevor der Ruf nach der Wiedervereinigung bei den Demonstrationen erklang, formulierten Teilnehmer in den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) und Leipzig die Forderung nach Bildung des Landes Sachsen. Am 13. November 1989 trugen erstmals Leipziger auf der Montagsdemo ein Spruchband mit sächsischem Wappen: "Schwarz-rot-gold, Sachsen Freistaat, Freies Europa!" Seitdem wurde die Forderung nach der Gründung des Landes Sachsen zur wichtigen Triebkraft der Massenkundgebungen. Beim Besuch von Helmut Kohl in Dresden am 19. Dezember 1989 dominierte neben der Deutschlandfahne die grün-weiße Sachsenfahne. Fortan hing sie an vielen Häusern, auf Autos waren grün-weiße Sachsenaufkleber weit verbreitet. Auf nahezu allen Ebenen (in Arbeitsgruppen, Runden Tischen, usw.) begann man, sich mit der Bildung des Landes intensiv auseinanderzusetzen.
Einflussnahme der SED auf Landesgründung
Obgleich der Aufbau der DDR keinen Föderalismus im Sinne eigenständiger Bundesländer vorgesehen hatte, bemühte sich die SED darum, das Thema für sich zu besetzen. Ende Januar 1990 setzte sich die letzte SED-Regierung mit der Länderbildung auseinander, was von Bürgerrechtsgruppen mit Skepsis betrachtet wurde. Der Koordinator des Runden Tisches des Bezirkes Dresden, Erich Iltgen, stellte fest, dass die alten politischen Kräfte "selbst das Land … bilden und damit die personellen Strukturen der DDR-Zeit … konservieren" wollten. Daher begannen die neuen politischen Gruppen damit, Konzepte zur Bildung des Landes auszuarbeiten.
Mitte April 1989 entstand ein Konflikt, als der Dresdner Bezirkstag unter weitgehendem Ausschluss der neuen politischen Kräfte das Land Sachsen ausrufen wollte. Dagegen protestierten die oppositionellen Gruppen erfolgreich. Iltgen ergriff die Initiative, indem er die Bildung eines Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen anregte. Der Koordinierungsausschuss sollte die rechtlichen Grundlagen schaffen. Iltgen forderte die Räte der Bezirke, die Bezirkstage und die Runden Tische auf, gemeinsam die Bildung des Landes voranzutreiben, anstatt gegeneinander zu arbeiten.
Landeskoordinierungsausschuss entsteht
Durch die Volkskammerwahlen, welche im März 1990 abgehalten worden waren, entstand eine Konkurrenzsituation in Bezug auf den Anspruch, die Bevölkerung zu repräsentieren: Einerseits sprachen direkt gewählte Vertreter der bürgerrechtlichen Gruppierungen im Namen ihrer jeweiligen Vereinigung, andererseits gingen aus den Volkskammerwahlen parlamentarisch legitimierte Abgeordnete hervor. Aufgrund dieser Unstimmigkeiten konzentrierten die Runden Tische ihre Arbeit auf die Landesgründung und beriefen einen Koordinierungsausschuss aller drei sächsischen Bezirke unter der Leitung von Arnold Vaatz (CDU) ein. Der Landeskoordinierungsausschuss nahm am 25. Mai 1990 seine Tätigkeit auf und bestimmte bis zu den Landtagswahlen die Arbeiten zur Landesgründung.
Da die staatliche Autorität immer stärker zerfiel und zugleich neue Länder gebildet wurden, beugte sich die letzte DDR-Regierung unter Lothar de Maizière dem Wunsch nach Föderalisierung. Zum 31. Mai 1990 wurden die Bezirkstage abgeschafft, die Räte fungierten nun als Auftragsverwaltung der Regierung. Nachfolgend wurden Regierungsbevollmächtigte in den Bezirken eingesetzt, die von den stärksten Parteien in den Bezirken nach den Ergebnissen der Volkskammerwahlen (in Sachsen der CDU) nominiert wurden. Durch die Anbindung der neuen Exekutivgewalt der Bezirke an die DDR-Regierung wurden die Runden Tische der Bezirke damit faktisch entmachtet.
Dieses Vorgehen stieß vor allem beim Runden Tisch des Bezirks Dresden auf Ablehnung. Die Bürgerrechtler befürchteten, dass auf diese Weise die Absetzung der vormaligen SED-Funktionäre verhindert werden könnte. Für den Bezirk Dresden wurde der ehemalige Rat des Bezirkes Dresden Siegfried Ballschuh (Block-CDU) zum Regierungsbevollmächtigen ernannt. Wegen der bestehenden Machtverhältnisse kam Ballschuh nicht umhin, den Landeskoordinierungsausschuss an sein Amt anzubinden. Vaatz, als Vorsitzender des Koordinierungsausschusses, wurde zum Stellvertreter von Ballschuh bestimmt und mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattet.
Der Runde Tisch Dresdens betrachtete die Arbeit der Bezirksverwaltung weiterhin skeptisch und war zunächst nicht bereit, sich aufzulösen. Dies änderte sich erst, als auf Vorschlag Erich Iltgens sichergestellt war, dass die Arbeit des Koordinierungsausschusses gewährleistet, die neuen Kräfte bei der Besetzung von neuen Ämtern berücksichtigt und ein Forum aller drei sächsischen Bezirke zur Bildung des Landes eingerichtet wurde.
Bildung des Sächsischen Forums
Am 12. Juli wurde zur Errichtung des Landes Sachsen die Bildung des Sächsischen Forums als Fortsetzung der Runden Tische der drei Bezirke beschlossen. Mitglieder des Sächsischen Forums waren Vertreter aller Parteien und neuen Gruppierungen, Volkskammerabgeordnete und Vertreter der Kreise, die einen Beitritt zum Land Sachsen in Erwägung zogen. Das Forum sollte vor allem die Öffentlichkeit informieren und im Sinne des Koordinierungsausschusses als Brücke zwischen Öffentlichkeit und Parlament wirken. Auf der zweiten Sitzung des Sächsischen Forums stellte Steffen Heitmann den Verfassungsentwurf – "Gohrischer Entwurf" – vor.
Am 22. Juli verabschiedete die Volkskammer das "Ländereinführungsgesetz" und setzte Landessprecher ein. Für das künftige Bundesland Sachsen wurde der Regierungsbevollmächtigte Leipzigs, Rudolf Krause (Block-CDU), bestimmt. Die Landessprecher sollten die Interessen der neu einzurichtenden Länder im Ministerrat vertreten. Sie agierten als Mittler zwischen der Regierung und den Regionen und hatten die Aufgabe, die Arbeit der Regierungsbevollmächtigten und der Verwaltungen zu organisieren. Außerdem sollten sie die Bildung der Landesregierung, der Verwaltung und deren personelle Besetzung, Lokalitäten sowie die Verfassungs- und Gesetzgebungstätigkeit vorbereiten. Damit beeinflusste die Einsetzung des Landessprechers die Arbeit des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen. Allerdings integrierte der Landessprecher den Landeskoordinierungsausschuss in sein Amt und übertrug ihm weitreichende Befugnisse.
Der Koordinierungsausschuss hatte den Zuschnitt der Ministerien festzulegen, das Landesvermögen zu definieren sowie Raumfragen zu bearbeiten. Diese Vorarbeiten waren die Grundlage für den Aufbau des von Bayern und Baden-Württemberg geförderten Staatsaufbaus. Den Termin für die Länderneugründung legte die Regierung de Maizière fest.
Wiedervereinigung und Landesgründung
Am Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, wurde das Bundesland Sachsen auf der Meißner Albrechtsburg, dem Ausgangspunkt der sächsischen Geschichte, wieder gegründet. Zu Sachsen zählen die ehemaligen Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt/Chemnitz und Leipzig, zuzüglich der Kreise Hoyerswerda, Weißwasser, Eilenburg, Torgau und Delitzsch. Die Kreise Altenburg und Schmölln schlossen sich Thüringen an. Am 14. Oktober 1990 fanden Landtagswahlen statt und sieben Tage später wurde Kurt Biedenkopf (CDU) als sächsischer Ministerpräsident im Landtag gewählt. Nach eineinhalb Jahren Beratung und der Möglichkeit zur öffentlichen Stellungnahme beschloss der Sächsische Landtag am 27. Mai 1992 mit großer Mehrheit (15 Gegenstimmen und vier Enthaltungen) die Verfassung des Freistaat Sachsen.