Seit über 40 Jahren wird "Peach" von ihren Entführern, Donkey Kong oder Bowser, gerettet und seit fast 30 Jahren bestreitet Lara Croft mit schmaler Taille und übergroßer Oberweite archäologische Abenteuer. Frauenfiguren in Videospielen scheinen sich nur zwischen diesen beiden Extremen zu bewegen. Möchte man Videospiele aus einer sexismus-kritischen Perspektive betrachten, so fällt das erste Augenmerk auf die Darstellung von weiblichen Figuren in Videospielen.
- Wie werden diese dargestellt? Wie realitätsnah oder -fern sind diese Körperbilder?
- Welche Auswirkungen haben bestimmte Darstellungsweisen auf die Realität?
- Welche Rollen fallen weiblichen Figuren zu?
- In einem zweiten Schritt muss hier natürlich auch der Blick umgekehrt werden - wie werden Männerkörper dargestellt?
- Welche Fähigkeiten und Funktionen können männliche Figuren ausüben?
Bei einer Analyse der Spielfiguren ist immer wichtig, nicht nur bestimmte Darstellungsarten aufzuzählen, sondern auch zu verstehen, warum bestimmte Darstellungen problematisch sind. Wichtig ist zu betonen, dass es durchaus möglich ist, ein Videospiel zu genießen, während man gleichzeitig problematische Aspekte wahrnimmt.
Ein kurzer geschichtlicher Abriss
Die erste weibliche Hauptrolle in einem Videospiel findet man 1986 im Spiel Metroid. Dort spielt man die Figur Samus Aran, welche zu Beginn des Spieles komplett in Rüstung ist. Erst am Ende findet man heraus, dass die Figur eine Frau ist. Allerdings gibt es die Möglichkeit, die Figur im Laufe des Spieles immer weiter zu entkleiden, der weibliche Körper dient also als eine Art Belohnung für die Leistung der Spielerinnern und Spieler. Zuvor gab es 1981 mit Miss Pacman zwar bereits eine andere weibliche Videospielfigur, allerdings ist Miss Pacman lediglich die weibliche Version einer Figur, die zuvor schon existiert hat - Pacman.
Rollenzuteilung und Körperdarstellung
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, scheint es für weibliche Spielfiguren in Videospielen vor allem zwei Narrative zu geben: Die Jungfrau in Nöten oder die hypersexualisierte Actionheldin. In beiden Fällen kommt der weiblichen Figur oft nicht die aktive, heldenhaft Hauptrolle zu, vielmehr ist sie eine passive Nebenrolle.
Jungfrau in Nöten
Männer sind in vielen Videospielen die Subjekte, der Fokus der Geschichte, während Frauen oftmals das Objekt sind - sie sind der Preis, den es zu gewinnen, der Schatz, den es zu finden und das Ziel, das es zu erreichen gilt. Während das an sich einfach nur eine legitime Erzählung sein kann, kommt der problematische Aspekt daher, dass diese Narrative seit Anbeginn der Videospielindustrie ständig wiederholt wird und erst in den letzten Jahren erfrischende Änderung bzw. Ablösung erfährt. Videospiele existieren nicht im Vakuum, vielmehr sind sie in ein größeres sozial-kulturelles Ökosystem eingebettet. Dass Popkultur einen immensen Einfluss auf das Leben und die Denkweisen von Menschen hat, haben zahlreiche Studien wieder und wieder bewiesen. Die weiblichen Charaktere werden bei der 'Jungfrau in Nöten'-Narrative als schwach und unfähig dargestellt, sie können sich nicht selbst aus den Fängen ihres Entführers befreien. Sie werden komplett ihrer Handlungsmacht beraubt und werden auf einen Status Quo als Opfer reduziert. Wenn die Jungfrau in Nöten letztlich befreit ist, kommt es oft zum Siegerkuss oder zur ewigen romantischen Bindung an den Befreier. Diese Narrative trägt jedoch dazu bei, den paternalistischen Glauben aufrecht zu erhalten, dass Macht-ungleichgewichte in romantischen Beziehungen ansprechend, erwartet oder normal sind. Erzählungen, die Intimität, Liebe oder Romantik als etwas darstellen, das aus der Entmachtung und Viktimisierung von Frauen hervorgeht oder davon abhängt, sind äußert problematisch, weil sie die weit verbreitete, regressive Vorstellung verstärken, dass Frauen in verletzlichen, passiven oder untergeordneten Positionen begehrenswert sind eben wegen jener Ohnmacht.
Hypersexualisierte Actionheldinnen
Neben der Jungfrau in Nöten werden weibliche Figuren in Videospielen oft hypersexualisiert und übererotisiert. Am bekanntesten ist hier die 1994 erstmals erscheinende Actionheldin Lara Croft - mit übermenschlichen Fähigkeiten, extrem schmaler Taille und übergroßer Brust beschreitet sie so manches Archäologieabenteuer. Auch generell werden Frauen zwar öfter als tapfere Kämpferinnen dargestellt, jedoch sind sie dabei mit Outfits ausgestattet, die kaum den Körper bedecken oder schützen. Wie unterschiedlich sich z.B. Catwoman und Batman bewegen, zeigt dieses Video sehr schön, das die Bewegungen der beiden Figuren ausgetauscht hat. An sich ließe sich hier argumentieren, dass die unterschiedliche Darstellung von Frauenkörpern nun mal der künstlerischen Freiheit der Produktionsfirma unterliegt. Dies ist durchaus richtig, zumal Studien zur Wirkungsweise von Medienbildern sehr widersprüchlich sind. Grundkonsens dieser Studien ist jedoch, dass Medienbilder eine normierende Auswirkung auf Konsumierende haben. D.h. dass aus ständig knapp bekleideten, unrealistischen Frauenfiguren die Anspruchshaltung entstehen kann, dass Frauen in der Realität so auszusehen und zu sein haben. Es gibt kaum belastbare empirische Arbeiten darüber, ob sexistisches Verhalten ein größeres Problem im Gaming ist als in anderen Bereichen. Es gibt jedoch Studien, die Zusammenhänge zwischen Videospielkonsum und sexistischen Einstellungen gefunden haben. Es ist also an sich nicht problematisch, wenn Frauen auf eine unrealistische, hypersexualisierte Weise dargestellt werden. Es wird nur dann zum Problem, wenn dies die einzige Darstellungsweise ist, und nicht die Vielfalt der weiblichen Körper abgebildet wird.
Sexualisierte Gewalt
Die Kritik an der unrealistischen Lara Croft Figur wurde 2013 in 'Tomb Raider' gehört und umgesetzt. Lara Crofts Körper wurde deutlich real existierenden weiblichen Körpern angepasst und auch ihre scheinbar unmenschlichen Kräfte alteriert. Für diese 'Vermenschlichung' der Spielfigur Lara Croft wurde ihr im Spiel jedoch signifikant mehr Gewalt angetan und es gab sogar eine Szene mit einem Vergewaltigungsversuch. Vergewaltigung als narratives Element in Videospielen ist ein weiteres Element, das kritischer Betrachtung bedarf. So gibt es z.B. im Spiel 'Grand Theft Auto 5' die Möglichkeit, als männliche Protagonistenfigur die Dienste einer Sexarbeiterin in Anspruch zu nehmen und sie danach zu töten, um sie nicht bezahlen zu müssen. Gewalt an sich ist ein typisches Narrativelement in vielen Videospielen. Jedoch muss hier nuanciert unterschieden werden zwischen Gewalt per se und sexualisierter Gewalt. Während Gewalt als Spiel-Element dem Zweck dient, Hindernisse zu überkommen und das eigentliche Ziel des Spieles zu erreichen - z.B. das Haus einzunehmen oder die Bombe zu finden - dient sexualisierte Gewalt keinem höheren Zweck im Spiel. Sie ist dann vielmehr Hauptgegenstand und keine Hürde zum Ziel. Bei Betrachtung der Verhältnisse in der Realität, in der Gewalt gegen Frauen ein weltweites Problem und die Realität vieler Frauen darstellt, scheint sexualisierte Gewalt als pures narratives Element ohne höheren Zweck äußerst fragwürdig. Den Gipfel fand diese Diskussion 2019 mit der Freischaltung des Spiels 'Rape Day' auf der Verkaufsplattform 'Steam' für den Vorverkauf. In diesem Spiel können Spielerinnen und Spieler in einem apokalyptischen Szenario mit einer männlichen Spielfigur Frauen verbal belästigen, verletzen und vergewaltigen. Das Spiel wurde nie verkauft und sehr schnell von den deutschen Behörden indiziert. Steam entfernte das Spiel mit der Begründung, dass das Spiel unkalkulierbare Risiken für Steam und Partner berge, jedoch grundsätzlich der Wunsch der Entwickler respektiert würde, sich kreativ auszutoben. Es gibt kaum Studien dazu, welche Wirkung explizite sexualisierte Gewalt in Spielen haben. Aber auch hier ist klar, dass gewisse Darstellungen zu einer Normalisierung ebenjener führen.
Darstellung von Männerkörpern
Bei der Betrachtung der Darstellung von Männerkörpern in Videospielen wird schnell offenkundig, dass auch hier ein sehr einseitiges Bild bedient wird. Der typische männliche Held ist muskelbepackt, sexuell erfolgreich, agil und hat volle Durchsetzungskraft. Ebenso wie eine einseitige Darstellung von Frauenkörpern eine problematische Dimension hat, weckt auch die einseitige Darstellung von Männerkörpern falsche Erwartungshaltungen und kann zu schädlichen Männlichkeitsbildern führen. Jedoch lässt sich ein signifikanter Unterschied feststellen. Bei der Darstellung von Männern handelt es sich oftmals um eine Ermächtigungsfantasie, sie sind der Fokus der Geschichte. Weiblichen Figuren hingegen wird in Videospielen oftmals die Macht entzogen, sie werden als Objekt dargestellt und sind oftmals nicht im Zentrum der Geschichte. (Quelle DLF)
Aktuelle Entwicklungen
In den letzten Jahren lässt sich so einiges an Änderung und Bewegung feststellen. Die plumpe Sexualisierung von weiblichen Spielfiguren, wie sie v.a. in den 80er, 90er und 2000er Jahren stattgefunden hat, nimmt deutlich ab. Es gibt mehr und mehr interessante weibliche Hauptfiguren, so wurde. Das Spiel 'Horizon Zero Dawn' von 2017 hatte eine tiefgründige und interessante weibliche Hauptfigur, die auch nicht mehr nur die einzige Frauenfigur unter vielen Männerfiguren war. Das Spiel 'The Last of Us' von 2014 hatte sogar zwei weibliche Protagonistinnen. Die Darstellung von Frauen in Videospielen ist also seit einigen Jahren nicht nur essentieller Bestandteil der öffentlichen Debatte, sondern wird auch aktiv von der Videospielindustrie neu gedacht. Trotz der teilweise neuen Narrative werden jedes Jahr immer noch unzählige Spiele veröffentlicht, die die gleichen alten, problematischen Bilder bedienen. Wie auch in anderen Bereichen ist folglich im Gaming-Bereich immer noch Luft nach oben für eine ausgewogene Darstellung von weiblichen Spielfiguren.
Vertauschte Bewegungen von Batman und Catwoman