Der Ministerrat – oft auch nur Rat der Europäischen Union genannt (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat, also dem „Gipfel der Staats- und Regierungschefs“) – ist das Legislativorgan mit der größten Entscheidungskompetenz innerhalb der EU. Zugleich repräsentiert der Rat auch die Vertretung der Mitgliedsstaaten im politischen System der EU, über dieses Gremium artikulieren die nationalen Regierungen ihre Interessen innerhalb der Gemeinschaft. Somit stellt der Rat die direkte Verbindung zwischen der EU-Ebene und der mitgliedstaatlichen Interessenvermittlung her und funktioniert nach intergouvernementaler Entscheidungslogik.
Die Europäische Union besteht aus verschiedenen Institutionen, welche dazu dienen sollen, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger aller Mitgliedstaaten zu finden. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Logiken, nach denen diese Institutionen Beschlüsse treffen können: Intergouvernemental (von lat. „inter“ – „zwischen“, also zwischen den Regierungen ausgehandelt) oder supranational (von lat. „supra“ – „über“, also über den Nationen stehend).
Intergouvernemental: Hiermit sind die Institutionen gemeint, in denen die Sachfragen von den Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten beschlossen werden. Das betrifft vor allem den Europäischen Rat („Gipfel der Staats- und Regierungschefs“) und den Rat der Europäischen Union („Ministerrat“). Die hier angewandte Logik entspricht der einer Verständigung zwischen den Staaten. Das hat den Vorteil, dass die einzelnen Mitgliedstaaten mehr Kontrolle über die Entscheidungen behalten und auf diese Weise weniger Souveränität abgeben müssen. Allerdings führt dies auch dazu, dass die nationalen Interessen im Vordergrund stehen und sich die Entscheidungsfindung mitunter langwierig gestaltet. Nach dieser Logik entstehende Kompromisse führen zudem unter Umständen zu ineffizienten Lösungen, da die Interessen der Nationalstaaten und die jeweilige (symbolische) Innenpolitik ein höheres Gewicht einnehmen können als die Tauglichkeit der Lösung.
Supranational: Die Institutionen, die nach supranationaler Logik entscheiden, wurden zwar ursprünglich ebenfalls von den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten eingerichtet, handeln aber seit diesem Zeitpunkt unabhängig und stehen über den Mitgliedstaaten. Dies hat den Vorteil, dass die Mitglieder dieser Institutionen nicht den Regierungen der Mitgliedstaaten, sondern nur den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union gegenüber rechenschaftspflichtig sind, von welchen sie auch – vor allem im Fall des Europäischen Parlaments – legitimiert werden. Nach dieser Logik handelt vor allem das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof. Supranationale Institutionen müssen weniger Rücksicht auf die Interessenlage der Mitgliedstaaten nehmen und können unter Umständen schneller bindende Entscheidungen treffen, welche die Mitgliedstaaten aus eigener Kraft nicht als Kompromiss erreicht hätten, obwohl sie der gesamten Union langfristig zu Gute kommen. Dies hat allerdings zur Voraussetzung, dass die Mitgliedstaaten bereit sind, Souveränität abzugeben und den Aufbau eines „Staates über den Staaten“ zu unterstützen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Legitimation dieser Institutionen und ob diese ab einem gewissen Grad der Kompetenzanhäufung eine eigene, europäische Verfassung als Grundlage benötigen.
Die Europäische Union ist ein Mischsystem, in welchem sich einflussreiche intergouvernementale wie auch beharrliche supranationale Einrichtungen beobachten lassen, welche nicht selten auch miteinander konkurrieren. Diese Form der staatlichen Zusammenarbeit ist weltweit einzigartig, ein vergleichbares System lässt sich nirgendwo finden.
Europäisches Parlament und Ministerrat – Konkurrenz zwischen EU und Nationalstaaten
Der Ministerrat stellt im Gesetzgebungsprozess der EU also das nationale Gegengewicht zum supranationalen Europäischen Parlament dar. Seine Rolle lässt sich insofern anhand der des Deutschen Bundesrates innerhalb der Bundesrepublik veranschaulichen: Auch dieser setzt sich aus den Mitgliedern der Landesregierungen zusammen und auch der Bundesrat dient dazu, die Interessen der Länder und den deutschen Föderalismus gegen etwaige Grenzüberschreitungen des Bundes zu verteidigen. Darüber hinaus sind der Deutsche Bundesrat und der Ministerrat der EU aber auch für die Gesetzgebung elementar, da sie über deutlich mehr Kenntnisse verfügen, welche Bedingungen vor Ort herrschen und was ihrer jeweiligen Ebene (Bundesland bzw. Mitgliedstaat) zumutbar ist.
Folgt man diesem Vergleich weiter, so lässt sich auf EU-Ebene jedoch eine andere Gewichtung erkennen. Während der Bundesrat dem Bundestag klar nachgeordnet ist und eher Möglichkeiten der Kontrolle und Intervention zur Verfügung hat, ist der Ministerrat der EU im Vergleich zum Europäischen Parlament nach wie vor der einflussreichere Akteur. Die Stellung des Rates als Rechtssetzungs- und Durchführungsorgan ist dabei in Abhängigkeit vom jeweils behandelten Politikfeld unterschiedlich stark ausgeprägt: Während der Rat seine Kompetenzen in den Politikfeldern, die zur so genannten ersten Säule des EU-Vertrages gehören, wie beispielsweise Agrarpolitik, Handelspolitik und Verkehrspolitik, in enger Verschränkung mit der Kommission und dem Europäischen Parlament ausübt, hat er in den eher zwischenstaatlich orientierten Bereichen der zweiten und dritten Säule (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik) nahezu alleinige Entscheidungsbefugnis. Der Rat ist gemeinsam mit dem Europäischen Parlament auch Haushaltsbehörde, er hat Exekutiv- und Kontrollbefugnisse insbesondere gegenüber der Kommission und ist ein wichtiges Organ für die Gestaltung der Außenbeziehungen der EU. An all diesem lässt sich feststellen, dass der Aufbau supranationaler Institutionen erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit vonstattengeht und sich die Mitgliedstaaten der Union nach wie vor ein erhöhtes Zugriffsrecht auf die europäische Gesetzgebung vorbehalten.
Zusammensetzung des Ministerrates
Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedsstaates auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedsstaates verbindlich zu handeln. Je nach dem zu behandelnden Politikbereich ändert sich auch die Zusammensetzung des Rates. Daher gibt es streng genommen nicht den einen Rat, sondern genauer neun verschieden zusammengesetzte Fachministerräte: Tagt der Rat zu Fragen der Rechtsstaatlichkeit, kommen beispielsweise die Justizminister der Nationalstaaten bzw. deren Delegierte zusammen. Am bekanntesten ist wohl der so genannte Ecofin-Rat, bestehend aus den für Wirtschafts- und Finanzfragen zuständigen Ministern oder auch der Agrarministerrat bzw. der Rat der Außenminister. Sitz des Rates ist Brüssel, getagt wird zeitweise aber auch in Luxemburg. Unterstützt wird der Rat durch ein Generalsekretariat. Der Vorsitz im Ministerrat wird, anders als beim Rat der Staats- und Regierungschefs („EU-Gipfel“), nicht direkt durch eine im Amt befindliche Person, sondern durch einen Mitgliedstaat übernommen. Diese Ratspräsidentschaft wechselt halbjährlich, sodass die Mitgliedstaaten sich bereits im Vorfeld darauf vorbereiten, in ihrer kurzen Zeit des Vorsitzes einen prägenden Einfluss auf die EU-Gesetzgebung zu nehmen und diese in ausgewählten Bereichen gezielt voranzubringen. Derzeit hat Rumänien die Ratspräsidentschaft inne, ab der zweiten Hälfte des Jahres 2019 wird Finnland den Vorsitz übernehmen. Deutschland wird dem Rat das nächste Mal in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 vorstehen. Allein der Rat der Außenminister („Rat für Auswärtige Angelegenheiten“) wird dauerhaft durch den Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik geleitet, der Mitglied der EU-Kommission ist (derzeit Federica Mogherini).
Jahr | Mitgliedstaat |
---|---|
2019 | Rumänien |
Finnland | |
2020 | Kroatien |
Deutschland | |
2021 | Portugal |
Slowenien | |
2022 | Frankreich |
Tschechien |
Wie entstehen europäische Gesetze?
Europäische Gesetze können in verschiedenen Formen verabschiedet werden, vor allem aber als Richtlinien und Verordnungen. Richtlinien stellen nach der Verabschiedung noch nicht direkt geltendes Recht dar, es handelt sich eher um eine verbindliche Anweisung an die nationalen Parlamente, innerhalb einer bestimmten Frist ein Gesetz zu verabschieden, welches den Inhalt der Richtlinie umsetzt. Dabei verfügen die nationalen Parlamente nicht selten über erheblichen Interpretationsspielraum, um den Inhalt an die vor Ort herrschenden Bedingungen anzupassen. Verordnungen hingegen treten direkt in Kraft und haben somit unmittelbare Gültigkeit in den Mitgliedsstaaten.
Initiiert, also eingebracht, werden Entwürfe immer von der Europäischen Kommission, welche den Vorschlag zuerst in das Parlament gibt. Wird das Gesetz im Europäischen Parlament gebilligt, so wird es dem Ministerrat zugeleitet. Je nach Politikbereich und Vertragsgrundlage erfolgt die Beschlussfassung im Rat nach drei verschiedenen Verfahren: Zu besonders sensiblen Politikfeldern wie Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz oder Inneres erfordert die Beschlussfassung im Rat Einstimmigkeit. Abstimmungen mit einfacher Mehrheit der Mitgliedsstaaten sind zwar auch möglich, finden aber kaum noch Anwendung. Der Großteil der Beschlüsse im Rat wird mit qualifizierter Mehrheit getroffen. Der Vertrag von Lissabon ermöglicht in Zukunft eine schnellere und effizientere Entscheidungsfindung im Rat: Die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat wurde auf neue Politikbereiche ausgedehnt, die früher der Einstimmigkeit bedurft haben. Zudem wird ab 2014 die qualifizierte Mehrheit nach der doppelten Mehrheit von Mitgliedstaaten und Bevölkerung berechnet. Eine doppelte Mehrheit ist dann erreicht, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der europäischen Bevölkerung auf sich vereinen, einer Regelung zustimmen.
Ist der Ministerrat mit der Vorlage einverstanden, so wird sie als Gesetz erlassen. Stimmt der Ministerrat der Vorlage nicht zu, so ändert er sie ab und gibt sie erneut in das Parlament, wodurch derselbe Ablauf in einer zweiten Runde wiederholt wird. Kommt es danach erneut zu keiner Einigung, so wird die Vorlage in das „Trilog“-Verfahren übergeben, einen Vermittlungsausschuss zwischen Parlament, Kommission und Ministerrat.