Das Organisieren in Gruppen und kollektive Interessensvertretung sind zentrale Bestandteile aller Demokratien. Es wäre höchst ineffektiv, würden in Deutschland alle 83 Millionen Menschen ihre 83 Millionen Einzelinteressen durchsetzen wollen. Parteien sind die bekannteste Form von politischer Interessensorganisation, jedoch gehören auch Vereine, Institutionen, Organisationen, Glaubensgemeinschaften und ganz generell zivilgesellschaftliche Bewegungen dazu. Politische Bewegungen wollen – genau wie Parteien – ihre gemeinsamen politischen Ziele durchsetzen, sind aber oft anders strukturiert als Parteien und haben als Endziel meist nicht, gewählte Vertreterinnen oder Vertreter in ein Gremium zu schicken. Vielmehr geht es um darum, die allgemeine Gesellschaft von ihren Zielen zu überzeugen. Politische Bewegungen existieren in und zu allen möglichen Themengebieten – auch im Rechtsextremismus gibt es zahlreiche Bewegungen, die durch gemeinschaftliche Organisation und Interessensvertretung ihre menschen- und demokratiefeindlichen Ideologien und Wertevorstellungen in der Gesellschaft verbreiten möchten. Was im Vergleich zu anderen politischen Bewegungen besonders auffällt, ist, dass rechtsextreme Bewegungen vor allem zu Krisenzeiten erstarken bzw. diese weiter verschärfen. Hier folgen sie oft ähnlichen Mustern – Probleme werden überspitzt, Sachthemen werden emotionalisiert und aus dem Kontext genommen, die mediale Aufmerksamkeit wird durch Tabubrüche und aufmerksamkeitsheischendes Verhalten bedient und gesucht. Zuletzt zeigte sich dieses komplexe Zusammenspiel zwischen dem Erstarken von rechtsextremen Bewegungen und dem Auftreten von Krisen in Sachsen 2014/2015 mit der Etablierung PEGIDAS im Zuge der Flucht-Krise und jüngst 2020/2021 mit den sogenannten Querdenker-Demonstrationen im Kontext der Corona-Pandemie.

Die zunächst lose Gruppierung bzw. Graswurzelbewegung PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) formierte sich im Herbst 2014 in Dresden um Lutz Bachmann. Dieser rief dazu auf, gegen die vermeintliche Islamisierung Europas zu demonstrieren. Während die Mobilisierungswucht, Heftigkeit und Bestehensdauer PEGIDAS überraschte, baute das Entstehen der Bewegung an sich auf eine Vielzahl kleiner rechtsextremer Bewegungen und etablierter asyl- bzw. flüchtlingsfeindlicher Stimmungen in Sachsen auf. Zwar liefen von Beginn an stadtbekannte Rechtsextreme bei PEGIDA mit, jedoch war PEGIDA in den Ursprüngen keine Initiative einer etablierten rechtsextremen Organisation, sondern vielmehr ein Sammelbecken für generell asylfeindlich bis -kritisch, z.T. rassistisch gesinnter Menschen, die zum großen Teil nicht dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden konnten. Generell lässt sich feststellen, dass PEGIDA keine asylfeindliche Stimmung entfachte, sondern vielmehr von der in Sachsen schon länger schwelenden z.T. rassistischen und menschenfeindlichen Ablehnungshaltung gegen Geflüchtete profitierte. Weil PEGIDA somit eine recht breite Bevölkerungsmasse ansprechen konnte, wurden sehr schnell sehr viele Personen mobilisiert – Ende Januar 2015 protestierten bis zu 25.000 Menschen für PEGIDA.

Befragungsdaten von 2015 zeigen auf, dass 2015 ca. 9,3 % der PEGIDA-Teilnehmenden ein manifest rechtsextremes Weltbild aufwiesen. Dieser Anteil ist höher als im Bundesdurchschnitt und auch dadurch verzehrt, weil viele PEGIDA Demonstranten keine Daten abgeben wollten. Generell zeigten viele Folge-Befragungen bei PEGIDA auf, dass der Anteil der Personen mit rechtsextremem Weltbild bei PEGIDA überdurchschnittlich hoch ist und eine klare Tendenz für die Gesamtbewegung zu erkennen ist. In der Forschung gilt eine Person als Teil einer entsprechenden Bewegung, sobald sie in ein Kommunikations- und Aktionsnetz eingebunden und gelegentlich an Protesthandlungen beteiligt ist. PEGIDA lässt sich also durchaus in seiner Gesamtheit dem rechtsextremen Spektrum zuordnen.

Seit Ende 2016 nimmt die Zahl der PEGIDA-Teilnehmenden zwar stetig ab, jedoch lässt sich zunehmend eine Zusammenarbeit zwischen der rechten Partei AfD und der rechtsextremen Bewegung PEGIDA beobachten. Während sich die AfD trotz inhaltlicher Nähe und Überschneidung der Anhängerschaft zu Beginn von PEGIDA distanzierte, so gab es nach den Ereignissen in Chemnitz im August 2018 eine erste gemeinsame Demonstration. Daraufhin traten und treten vermehrt AfD-Politikerinnen und Politiker bei PEGIDA – Demonstrationen auf. Es lässt sich somit ein zunehmender Schulterschluss zwischen der AfD (v.a. dem sogenannten Flügel) und der rechtsextremen Bewegung bzw. Organisation PEGIDA beobachten.

Quellen:

Im Frühjahr 2020 kam es im Zuge der Corona-Pandemie bzw. Corona-Krise weltweit zu tiefgreifenden (Freiheits-)Einschränkungen für die Bevölkerung, um öffentliche Gesundheit und das Recht auf Leben zu schützen. Diese Einschränkungen riefen zahlreichen Protest in unterschiedlichen Bereichen hervor, um auf die vielfältigen Folgen dieser Einschränkungen aufmerksam zu machen. So protestierten Gastronomie-Betriebe und Kulturschaffende, um auf ausbleibende Einnahmen und generell ihre Situation aufmerksam zu machen. Die Möglichkeit, gegen staatlich getroffene Maßnahmen im öffentlichen Raum zu protestieren, ist eine zentrale Beteiligungsform in einer Demokratie und ein hohes demokratisches Gut. Jedoch ließ sich auch im Zuge der Corona-Krise beobachten, dass nicht alle, die das demokratische Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, auch andere grundlegende demokratische Werte wie Freiheit oder fundamentale Menschengleichheit achten. Vielmehr bietet sich die Corona-Krise als neues Gelegenheitsfenster für extremistische und populistische Akteure, da auch diese Krise von gesellschaftlicher Unsicherheit und Angst geprägt war und ist. Generell entwickelte sich ab April 2020 ein konfuses Geflecht an Protestakteuren, -zielen und -inhalten, wo besonders die Bewegung der sogenannten „Querdenker“ auffällt. Die Querdenker-Bewegung vereint zunächst – ähnlich wie PEGIDA – eine breite Bevölkerungsmasse, die den staatlichen Infektionsschutz-Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie kritisch gegenüberstehen. Jedoch mehren sich auch hier Hinweise auf Verbindungen zwischen der Querdenker-Bewegung und rechtsextremen Gruppierungen. Diese Verbindung zeigte sich in Sachsen zuletzt besonders stark im November 2020, als es bei einem Corona-Protest mit 20.000 Demonstrierenden (bei 16.000 angemeldeten) in Leipzig zu teilweise gewalttätigen Ausschreitungen kam. Bereits seit Frühjahr 2020 warnen zudem unterschiedliche Verfassungsschutzbehörden, u.a. das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz, vor Radikalisierung und Unterwanderung der Corona-Proteste durch demokratiefeindliche Kräfte. Auch die Verbindung des Querdenken-Gründers Michael Ballweg mit der rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Reichsbürger-Bewegung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Corona-Krise von rechtsextremen Akteuren genutzt wird, um ihre Ideologie und ihr Weltbild zu verbreiten.

Quellen:

Die Geschichte und Gegenwart zeigen wiederholt – Krisen und der Umgang mit Krisen sind von enormer Bedeutung für das Erstarken und Agieren von rechtsextremen Bewegungen. Gesellschaftliche Unsicherheit ist ein idealer Nährboden für rechtsextreme und populistische Bewegungen, da sie simple Antworten auf komplexe Probleme geben und Sachthemen emotionalisieren und dramatisieren. Um demokratieaushöhlende Kräfte in Krisenzeiten zu schwächen, ist Prävention u.a. in Form von politischer Bildung von unbedingter Relevanz. Nicht erst PEGIDA oder die Querdenker-Bewegung zeigen, dass es wichtig ist, Menschen dazu zu befähigen, mit wenig eindeutigen Situationen umzugehen und somit ihre Ambiguitätstoleranz zu erhöhen. Auch muss die Gesellschaft darin gestärkt werden, herausfordernde Lebenssituationen zu meistern und ihre Resilienzfähigkeit zu erhöhen. Zuletzt zeigt die Flucht-Krise von 2015 und die Corona-Krise von 2020/2021 aber auch, dass das gesellschaftliche Vertrauen in demokratische Institutionen unbedingt gefestigt und gestärkt werden muss. Politische Bildung ist also unabdingbar, um dem Erstarken rechtsextremer Bewegungen vorzubeugen und legitime politische Bewegungen weiter zu fördern.