Wie wird freie Meinungsbildung durch Desinformation gefährdet?
Eine mündige Wahlentscheidung ist möglich, wenn alle notwendigen Informationen zu finden und diese verlässlich sind. Ein demokratischer Wahlkampf sollte daher mit korrekten Fakten argumentieren, die Grundrechte aller respektieren, die eigenen Ziele transparent machen und politische Kontrahenten als legitim anerkennen.
Wahlkämpfe werden zwar immer auch mit Zuspitzungen, rhetorischen Schlägen und Vereinfachungen geführt. Doch es gibt eine Schwelle, an der Darstellungen unwahr werden oder legale sowie moralische Regeln eines redlichen Wahlkampfes verletzen.
Demokratieverachtende Personen und Gruppen setzen gezielt unlautere Mittel ein:
- Sie verbreiten erfundene und halbwahre Geschichten; täuschen über die eigenen Hintergründe und Ziele;
- Sie entwürdigen und entmenschlichen politische Gegner und greifen diese persönlich an.
- Sie schüren negative Emotionen wie Angst und Wut, kreieren Feindbilder und machen Sündenböcke für Probleme verantwortlich.
In der Folge präsentieren sie radikale und vermeintlich einfache Lösungen als die einzige Möglichkeit, um einen angeblich drohenden Untergang abzuwenden.
Wenn Sachverhalte falsch dargestellt werden, kann auch die politische Meinungsbildung darüber verzerrt werden. Wenn beispielsweise bestimmte Personengruppen für ein Problem verantwortlich gemacht werden, geraten die eigentlichen Ursachen aus dem Blick. Und wer mit Angst politisch angesprochen wird, ist anfälliger für manipulative Inhalte. Aus der neuropsychologischen Forschung ist bekannt, dass das menschliche Gehirn unter Angst einen schlechteren Zugang zum eigenen Wissen hat und eher bereit ist, radikale Ideen ohne sorgfältige Abwägung zu akzeptieren.
Wie werden freie Wahlen durch Hass und Gewalt gefährdet?
Hass schüren und Lügen verbreiten: Oft geht beides Hand in Hand, um Menschen in ihrer Meinung und ihrem Verhalten zu beeinflussen. Durch negative Darstellungen, direkte Bedrohungen und Verleumdungen sollen bestimmte Kandidaten eingeschüchtert und diskreditiert werden. Jene, die solche Mittel einsetzen, versuchen damit politischen Gegner als Feinde zu markieren und sie aus dem politischen Raum zu drängen.
Digitale und analoge Gewalt gegen politisch Engagierte und ehrenamtliche Mandatsträgerinnen und Mandatsträger hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Auch in Sachsen sind vermehrt tätliche Angriffe gegen Kandidierende und Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu beobachten. Ein trauriger Höhepunkt war Anfang Mai 2024 der brutale Angriff auf den SPD-Europakandidaten Matthias Ecke. Er erlitt dabei mehrere Knochenbrüche im Gesicht.
Eine mögliche Folge zunehmender Gewalt: Menschen ziehen sich aus politischen Diskussionen und dem politischen Engagement zurück. Insbesondere Gruppen, die stärker von Hass betroffen sind – zum Beispiel Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung – werden dann potenziell weniger repräsentiert und gehört.
Welche Beispiele von Wahlbeeinflussung durch Desinformation sind bekannt?
Weltweit sind in demokratischen Staaten sehr ähnliche Aktivitäten der Informationsmanipulation zu beobachten. Narrative, Strategien und Mittel gleichen sich. Sie werden von denen eingesetzt, die eine autoritäre Staatsform befürworten, die aus geopolitischen Gründen andere Staaten schwächen wollen oder die mit Empörung Geld verdienen wollen. Desinformatierende Akteure gibt es weltweit, sie lernen voneinander und professionalisieren sich.
Von Kommunalwahlen in Irland über Parlamentswahlen in Südafrika und Indien bis hin zu Präsidentschaftswahlen in der Republik Moldau oder den USA. Inzwischen gibt es viele gut dokumentierte Fälle von versuchter Wahlbeeinflussung. Hier nur einige Schlaglichter - Quellen finden sich unter dem Artikel:
- In Sachsen wurde rund um die Wahlen 2024 laut wissenschaftlicher Beobachtungen der sozialen Medien wenig spezifisch sächsische Desinformation bemerkt. Zumeist wurden Beiträge weitergeleitet, die in ganz Deutschland und weltweit zirkulieren. Rund um die Wahl zum Europaparlament zirkulierten die gleichen Falschbehauptungen von Wahlbetrug wie in anderen Ländern Europas. Am häufigsten in Sachsen nutzen Gruppierungen der extremen Rechten Falschinformationen, ihre Ideologie zu verbreiten und Vertrauen in die Demokratie zu schwächen.
- Bei der Bundestagswahl 2021 wurden systematisch verbreitete Lügen und Diskreditierungsversuche beobachtet. Verschiedene Analysen (Bspw. vom ISD) versuchten einzuschätzen, wie häufig Desinformation vorkam, wer sie verbreitete und wer davon am stärksten betroffen war. Dabei wurde deutlich: Die meisten Angriffe und Verleumdungen richteten sich gegen die damalige GRÜNE Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Ihr wurden falsche Aussagen unterstellt und unvorteilhafte Bilder mit entwürdigenden Untertiteln versehen. Auch Fotomontagen und Hasskommentare gegen sie wurden häufig verbreitet.
- In der Slowakei tauchte 2023 kurz vor den Nationalratswahlen eine gefälschte Tonaufnahme auf. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz wurde dabei die Stimme des proukrainischen und prowestlichen Kandidaten Michal Šimečka geklont, der angeblich gegenüber einer Journalistin zugibt, sich in Roma-Dörfern Stimmen gekauft zu haben. Das Video ging viral und erreichte mit geschätzten 500.000 Menschen ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler. Šimečka hatte lange Zeit in den Wahlumfragen geführt, verlor schließlich jedoch gegen den prorussischen Robert Fico.
Wie werden mit koordinierten Kampagnen Wahlen beeinflusst?
Durch journalistische Recherchen und kriminalistische Ermittlungen konnten immer wieder koordinierte Desinformationskampagnen offengelegt werden. Dabei kombinieren staatliche oder nichtstaatliche Akteure über einen längeren Zeitraum verschiedenen Mittel und Techniken der Informationsmanipulation:
Unter dem Namen „Reconquista Germanica“ versuchten Rechtsextremisten beispielsweise, durch koordinierte Aktionen die Bundestagswahl 2017 zugunsten der AfD zu verschieben. In Internetforen verabredeten sie gemeinsame Angriffe auf einzelne Kandidatinnen und Kandidaten und stimmten sich über inhaltliche Strategien ab. Mit Hilfe eines digitalen Handbuchs brachten sie sich gegenseitig bei, wie man mit Fake-Accounts, Bots und anderen Mitteln gezielt politische Stimmungen in sozialen Medien manipuliert.
Russland versucht spätestens seit Beginn seiner Invasion in die Ukraine im Februar 2022 mit der sogenannten “Doppelgängerkampagne“ die politische Stimmung in Europa zu beeinflussen. Deutschland ist dabei eines der wichtigsten Ziele, hier sollen die Wahlerfolge der AfD und seit 2024 auch des BSW gestärkt werden. Im Rahmen der Kampagne werden Webseiten erstellt, die bekannten Nachrichtenmedien zum Verwechseln ähneln. Gefälschte Profile in den sozialen Medien verbreiten dann Links zu diesen Seiten, automatisierte Bots klicken und teilen diese Beiträge massenhaft und erhöhen damit deren Sichtbarkeit.
Durch internationale Recherchen, Analysen der Plattformbetreiber sowie weltweite Ermittlungen von Geheimdiensten und Staatsanwaltschaften wurden immer mehr Details bekannt. So belegen interne Dokumente aus dem Kreml, dass die Anweisungen direkt aus dem russischen Präsidialamt kommen. Auch belegt ist, dass die russische Marketingagentur SDA hohe Geldsummen an westliche Influencer zahlte, damit diese russische Propaganda verbreiten. Auch versuchen russische Staatsmedien über Agenturen und Zwischenmittler westliche Medien zu beeinflussen.
Die illegale Einflusskampagne konnte Ende 2024 zu Teilen gestoppt werden, weil dafür missbrauchte technische Infrastruktur ausfindig gemacht wurde – was jedoch nicht das Ende der koordinierten Desinformation seitens Russlands bedeutet
Wie wirksam auf Wahlen sind solche Einflusskampagnen?
Der knappe Ausgang des britischen Referendums 2016 für den Austritt aus der EU ist kaum ohne die verdeckte Einflussnahme von Cambridge-Analytica und den Falschbehauptungen der Brexit-Kampagne zu denken.
Auch das weltweite Erstarken für autoritäre und rechtsextremistische Kräfte scheint ohne die populistischen Strategien, das gekonnte Bespielen der sozialen Medien und das gezielte Nutzen von desinformierenden und manipulativen Mitteln nicht erklärbar. Doch wie groß genau der Anteil dessen an dieser Entwicklung ist, bleibt unklar. Zu viele weitere Ursachen spielen hier hinein.
Gleiches gilt für Wahlergebnisse: Technisch nachverfolgen lässt sich zwar, wie sich bestimmte Falschinformationen verbreiten, wie Profile und Webseiten vernetzt sind und wo automatisierte Bots eingesetzt werden. Der tatsächliche Erfolg solcher Einflussversuche jedoch ist schwer zu messen, denn für die Entscheidung an der Wahlurne spielen letztlich viele Faktoren zusammen.
Jahrzehntelange Marketingforschung und psychologische Studien haben den Menschenlesbarer gemacht. Die immense Menge an Daten über Milliarden von Menschen, die durch die sozialen Medien und das Internet zugänglich sind, heben die Berechnung menschlichen Verhaltens auf ein neues Niveau. Diese Kenntnisse machen sich auch Propagandisten zunutze.
Die Verschiebung von Wahlergebnissen kann nicht ausschließlich auf entsprechende Einflussoperationen zurückgeführt werden. Aber Technologien der Datenanalysen, Algorithmen und zunehmend auch der generativen Künstlichen Intelligenz sowie die andauernden Versuche der Manipulation von Stimmung, Vertrauen und Realitätssinn, sind ein Bestandteil der Erklärung von Erfolgen autoritärer und populistischer Parteien in demokratischen Staaten.
Um mündig zu bleiben, sollten die Menschen diese Mechanismen der Manipulation kennen und wissen, wie sie verlässliche Informationen finden können. Unlautere Wahlkampfmethoden sollten klar geächtet werden und stattdessen das Ideal fairer, transparenter, freier und offener Wahlen und Debatten von allen Beteiligten hochgehalten werden.