Unter dem Begriff „Rechtsstaat“ versteht man das Prinzip, dass die Ausübung der staatlichen Gewalt selbst an Gesetze und das Grundgesetz gebunden sind. Es beugt eine Willkürherrschaft vor, in der die Exekutive oder andere staatliche Hoheitsträger nach Belieben handeln können. Eng verbunden mit einer rechtsstaatlichen Ordnung ist ein Katalog von Grundrechten, welche Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat einklagen können. Das Rechtsstaatsprinzip ist ein notwendiger Bestandteil einer Demokratie.

Aus Untertanen werden Bürger

Die Entwicklung von Bürgerrechten stellt einen zentralen Meilenstein im Verlauf der Geschichte der Demokratie dar. Er ging einher mit einem ideengeschichtlichen Wandel: Wenn in der mittelalterlichen Feudalherrschaft der Untertan dem Lehnsherr und später dem Staat zu dienen hatte, so begriffen sich die Menschen im Zuge der bürgerlichen Revolutionen der frühen Neuzeit als Bürgerinnen und Bürger, welche als Freie und Gleiche geboren wurden. Zwar bedürfe es immer noch der Regeln und Gesetze des Zusammenlebens sowie einen Staat, der diese durchsetzt, seine Repräsentanten werden aber vom Volk bestellt und sind diesem rechenschaftspflichtig, sodass der Staat den Menschen dient, nicht umgekehrt.

Grundgesetz stellt Rechtsstaatsprinzip für die Bundesrepublik auf Dauer

Diese Vorstellung findet sich auch im Grundgesetz, vor allem in Absatz 3 des Artikels 20 – des sogenannten „kleinen Grundgesetzes“:

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Artikel 20 Absatz 3 GG

An dieser Stelle ist festgehalten, dass die staatliche Gewalt in all ihren Erscheinungsformen, als gesetzgebende (legislative), ausführende (exekutive) und rechtssprechende (judikative) Gewalt, an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gebunden sind. Durch Artikel 79 Absatz 3, die sogenannte „Ewigkeitsklausel“, kann dieses Prinzip für die Bundesrepublik niemals angetastet werden.

Bindung aller staatlichen Gewalt

Das bedeutet im Alltag, dass der Staat nie gegen das Grundgesetz sowie einfache Gesetze oder andere Rechtsnormen verstoßen darf.

In Bezug auf die gesetzgebende Gewalt heißt das, dass Bundestag und Bundesrat sowie alle Landesparlamente keine Gesetze verabschieden können, welche nicht verfassungskonform sind. Dies betrifft einerseits den Inhalt, andererseits das Zustandekommen. Das Gesetz darf also keinem Grundsatz des Grundgesetzes widersprechen und muss darüber hinaus von dafür zuständigen Parlamenten in einem korrekten Verfahren zu Stande gekommen sein. Wird die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, so verliert das entsprechende Gesetz, bis auf seltene Ausnahmen, in diesem Moment seine Gültigkeit und darf weder von anderen Gerichten noch von anderen staatlichen Stellen zur Grundlage genommen werden.

Am meisten wird durch das Rechtsstaatsprinzip die Exekutive gebunden. Der Staat darf in der Durchsetzung von Recht und Ordnung und der Durchführung von Politik weder Grundrechte des Individuums verletzen noch seine eigenen Kompetenzen überdehnen noch ein einfaches Gesetz missachten. Dies betrifft alle staatlichen Akteure, von Polizeibeamten über Verwaltungsbehörden bis hin zur Bundesregierung. Alle Handlungen des Staates, wie beispielsweise das Durchsuchen einer Wohnung oder das Einfrieren eines Bankkontos, müssen sich auf Gesetze berufen können. Dasselbe gilt für Verordnungen, die zum Beispiel von einem Ministerium erlassen werden können. Zwar bedürfen die keiner Zustimmung eines Parlaments, um geltendes Recht zu werden, unterliegen aber engen Schranken und müssen vorher durch ein Gesetz ermächtigt werden.

Schließlich sind auch die Gerichte an Recht und Gesetz gebunden, sie dürfen nur auf Basis existierenden Rechts entscheiden, darüber hinaus verliert eine Gerichtsentscheidung ihre Wirksamkeit, wenn ein Verfahren nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen verlief.

Der Staat wird verpflichtet, das Grundgesetz zu verwirklichen

Rechtsstaatlichkeit beschränkt den Staat aber nicht nur in seinem Handeln, sondern verpflichtet ihn auch gleichzeitig. Denn nicht nur, wenn der Staat übergriffig handelt, wird die Freiheit des einzelnen Menschen verletzt, sondern auch, wenn keine Gesetze existieren, die andere Menschen daran hindern, z. B. eine Straftat zu begehen. Der Maßstab für ein fehlendes Gesetz ist dann das Grundgesetz, welches allen Bürgerinnen und Bürgern Grundrechte gibt. Diese Grundrechte werden in Artikel 1-19 ausformuliert und stellen auf doppelte Weise eine Mahnung dar: Einerseits darf der Staat selbst, wie beschrieben, nicht gegen diese Rechte handeln. Andererseits ist er angehalten, eine Rechtslage herzustellen, in der niemand durch Dritte in seinen Grundrechten eingeschränkt werden kann.

Den Staat verklagen?

Das Rechtsstaatsprinzip kann nicht garantieren, dass ein Fehlverhalten des Staates gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nie vorkommt. Stattdessen gibt es ihnen jedoch die Möglichkeit, ihre Grundrechte einzuklagen. Zuerst müssen sie sich dafür an das entsprechende Fachgericht wenden, bei einem Fall von Behördenwillkür beispielsweise an das Verwaltungsgericht. Wird die Sicht der betroffenen Person nicht geteilt, so kann diese so oft in Berufung gehen, bis der Fall schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängig ist. Dieses überprüft dann in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, welches in Artikel 93 Nummer 4a GG festgeschrieben ist, ob die Grundrechte der klagenden Person tatsächlich verletzt wurden. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde stattgibt, wird das geschehene Unrecht so weit wie möglich rückgängig gemacht, gegebenenfalls eine Entschädigungssumme gezahlt und, wenn nötig, eine Novellierung des zu Grunde liegenden Gesetzes angestoßen.

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